Kurzcharakterisierung:Das geistliche Handbuch enthält verschiedene deutsche Texte: Neben einer Übersetzung des Nikodemus-Evangeliums und einer Kommunionsandacht dominikanische Exequien und mystische Texte zur Passion Christi. Die Handschrift ist im 3. Viertel des 15. Jhs. im oberrheinischen Raum entstanden und stammt aus dem Besitz des Berner Dominikanerinnenklosters (Inselkloster St. Michael). Nach der Reformation gelangte die Handschrift Ende des 16. Jahrhunderts in die Solothurner Ratsbibliothek (Bibliotheca civitatis).(hol)
Standardbeschreibung: Beschreibung für e-codices von Ian Holt, Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn 2009.
Standardbeschreibung anzeigen
Online seit: 21.12.2009
Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S 194
Papier · 193 ff. · 20.5 x 14 cm · Oberrhein / Schweiz (Bern?) · zweite Hälfte des 15. Jahrhundert
Geistliche Sammelhandschrift für Dominikanerinnen
Wie zitieren:
Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S 194, f. 157v – Geistliche Sammelhandschrift für Dominikanerinnen (https://www.e-codices.ch/de/list/one/zbs/S-0194)
Beschreibung für e-codices von Ian Holt, Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn 2009.
Handschriftentitel: Geistliche Sammelhandschrift für Dominikanerinnen (Nikodemus-Evangelium, Obsequiale, Gebete und Betrachtungen, mystische Traktate), deutsch.
Entstehungsort: Oberrhein/Schweiz (Bern?)
Entstehungszeit: 15. Jahrhundert, 2. Hälfte
Beschreibstoff: Papier; Wasserzeichen Ochsenkopf, mit Augen und Nasenlöchern, darüber einkonturiger Stern, ohne weitere Beizeichen:
Piccard online: 75200, 75202 (1455)
Umfang:
193 + II B.
Format: 205 x 140 mm
Seitennummerierung: Neuere Foliierung, innerhalb der Lagen Zählung unten rechts: b1 (13r)-q6 (186r), Lagenzählung am Anfang der Lage oben rechts, in römischen Zahlen, stark beschnitten.
Einband: Braunes Leder auf Holz, 15. Jahrhundert; Einzelstempel (nicht in EBDB). Provenienzfremde Vorsatzblätter (Urkundenfragmente, 15. Jh.) bei der Restaurierung 1951 (Atelier Weissenbach, Lausanne) eingesetzt. Nach hinten greifende Schliessenzunge mit ihs-Monogramm, möglicherweise erneuert und provenienzfremd.
1r- 58rEvangelium Nicodemi, deutsch
>Das ewangelium, daz Nicodemus schribet<In dem namen vnsers herren Ihesu Christi vachet an dis bůch vnd ist das evangelium, das Nicodemus schribet vnd derselb Nicodemus was ein heiliger furste vnder den Juden …–…
Do erschrack Pylatus gar sere vnd hies den brieff abschriben vnd hies in in dem Richthus gehalten, das alle die Richter die nach im kemmen…vnd den Juden nicht gelouben wellent Amen.
Edition: Achim Masser, Max Siller (Hg.): Evangelium Nicodemi. Heidelberg 1987, S. 249-305. Der Text des Solothurner Codex dient als Leithandschrift (E6) für Fassung E
Lit: Albert Schelb: 2VL 2 (1980), Sp. 659-663 + 2VL 11 (2004), Sp. 434, hier Bd. 2, Sp. 661.
58v-102rVerschiedene Gebete und Betrachtungen, vorwiegend zur Eucharistie, u.a. von
Heinrich Seuse
(58v-65r)
Vor dem Abendmahl>Hie nach stat wie man sich schicken sol zů dem heiligen wirdigen sacrament. Ein schoene ler<Das erste so der moensche vnsern herren will enpfachen …
(61v)Darnach gedenke an das reine vnd an das heiligi leben der zarten megde Marien …–…
vnd ire muetterlichen erbarmhertzikeit. Amen
(65r-65v)
GebetPer te accessum habeamus ad sumendum corpus et sanguinem dilecti filii tui, benedicta interventrix gracie
(65v)ave domina nostra, mediatrix nostra …–…
et glorie sue jesus christus filius tuus. Amen
(65v-86v)
Ermahnungen und Gebete zu ChristusHerre iesu christe, ich mane dich der aller tiemuetigsten neigunge
(80v)Herre iesu christe, ich gan hutte zu dir als der aller ermste …–…
ich dancke dir vnd lobe dich
(86v-87r)
Der ansihet (?) das gewesen vnsers heren iesu cristi damit er vns hat erlöset der hat vier jar aplas von des babstes sant Peters gewalt vnd von anderen drisig obresten bischoffen … Darnach der vierte babest Innotentius hat bestetigot vnd gestercket dizen vorgenanten aplas in der sammenunge zu Ludugune
(87r)
Abendmahlsgebet, aus: Heinrich Seuse: Büchlein der ewigen Weisheit>Hie nach stand schöne gebet von dem heiligen wirdigen Sacrament<Eya di lebende frucht, du süssiginne du wunenkliche paradis öphel …
Ausgabe: Karl Bihlmeyer (Hg.): Heinrich Seuse. Deutsche Schriften, Stuttgart 1907, S. 303.
(90v-95r)
Unsers herren fronlichnamen ist uns gelassen hie …
(91r)Johannes Chrystomus sprichet …–…
heilig leben vnd ein so selig sterben das du da von gelobet werdest. Amen.
(95r-102r)
Herre ich bitte dich durch der marter willen, die du in der zit litte …–…
da mitte müssest du hute vnd iemer gesegenet sin in gottes namen amen.
102r-102vTobiassegen, gereimtSant thobias was ein herre biderbe … derselbe behüete dir lib vnde sele …–…
das dise worte iemer wesen sigehaft des helfe dir des gottes kraft in gotes namen amen Dem dire segen geschriben si der müse alles beides jemer wesen fri. amen.
Vgl. Heather Stuart, 2VL 9 (1995) Sp. 947-949. Die dort beschriebenen Segen weichen stark von vorliegendem Segen ab.
(102v-103v)
Krankengebete>Dis Gebet spricht der priester, do er zu dem siechen gat.vnd imme will vnsren heren gen<Herre Ihesus christi, du sprecht zů dinen Jungern …
>Nach diesem gebet so git im der priester … <Herre, ich bin nit wirdig das du komest under min tach …
>Vnd so sprichet der priester diss wort so es dem sterben unszen gegen get<Schwoester, nim die wegspise, den lip vnsres herren …–…
ein artzneye zů dem ewigen lebende, zů Christum vnsern heren Amen.
(103v-107r)
Salbung>Dis gebet sprichet der priester so er in das hus gat vnd den siechen wil oelgen<Fride si diesem huse vnd allen dz di da inne sint …
(107r-112r)
Sterbegebete>So der moensche schiere sterben will … <
… vnd in der ere der heiligen dryvaltikeit. Amen
(112v-115v)
BegräbnisordoHie vachet an alles das zů der begrebte hoeret …–…
zů der rechten hant.
(115v-137v)
Totenoffizium, deutsch>Die ist der selen zit in tuetsche. Ze mettin zit<
(116r)
Herre du wirst uff tůnde min leffzen vnd min mund … vnd wonunge in syon …
(137v-145v)
Andacht zum Leiden ChristiAlmechtiger susser Jhesu … ich sůche dich an dinem krûtze … Gůter Jhesu, so erschine mir dein minne, vmb vach denne mich an dem heilsamen krûtze. Amen …–…
Min volk, was han ich dir getan…das ich dir nút han getan.
(145v-154v)
Zwölf Betrachtungen zum Leiden Christi>Von vnsres herren marter<Es sint zwölffer hande betrachtunge …–…
richsen wir mit ime in den ewigen froiden. Amen
(156v-158v)
Elf Nutzen der Betrachtung des Leidens Christi, Bernhard von Clairvaux zugeschrieben
(156v)
Sant Bernhart schribet xi nùtze, die dem mönschen widervarrent, der gerne gedencket an vnsres herren marter …–…
die du wirst behaltende durr die bezeichnusse des krùtzes die zuchte jemer eweklich amen.
(158v-160r)
Gebet, Anselm von Canterbury zugeschrieben>Anshelmus sprach<Herre allmehtiger got gib minem hertzen das sich dich begirdelich begere …–…
widerbringe mich gevelliklich zu dem lebende, amen.
(160r-163v)
GebeteSieh an, milter vatter, dinen allermiltesten sun …–…
Ein einig heil der toten, kum heiliger geist, kum erbarme dich úber mich!
(163v-167v)
Das Opfer>Diz ist das opher<Herre Jhesu Christe ich manen dich getunden dienstes vnd des minnenkliches dienstes …–…
so twinge ich dich das du můst tůn alles das ich wil. Amen
(167v-168v)
SegensgebetO gůter Jhesu ich erkenne zwei ding an mir: die nature, die du mir gegeben hast …–…
vnd gieng enmiten durch sie vnverseret vnd vngevangen. Kaspar, Palthaser, Melchior
(168v-174r)
Gebet für die Feinde>Diss gebet sprecht all tag fur alle vwer vyende vnd gedenkent ovch min durch got … <Durch den schlaff vnd die růwe gotes, durch das aller heiligste …–…
sunder füre sie mit den engelen in das ewige leben. Amen
(174r-185v)
Andacht und GebeteO du wesendes wesen, o du lebendes leben, o du lûchtendes liecht …–…
also hilf ouch vns ze dem ewigen leben. In gottes namen Amen
(185v-186v)
Ablassgebet, Papst Benedikt XII zugeschrieben Dis gebetlin machte der Babest Benedictus…Ich bitte dich min aller gemiltester here …–…
mir wellest helfen zů einem gůtten ende. Amen
Vgl. zu diesem Gebet: Peter Ochsenbein: Eine bisher unbekannte böhmische Handschrift mit Gebeten Johanns von Neumarkt, in: Zeitschrift für deutsche Philologie 98 (1979), S. 85-107, hier S. 102-104, Anm. 43; dort auch weitere Literaturangaben. Nach Ochsenbein Schwellfassung eines Gebetes, das nicht von Johann von Neumarkt stamme, aber in der zweiten Auflage von Klappers Ausgabe der Gebete des Johann von Neumarkt ediert ist: Joseph Klapper (Hg.): Johann von Neumarkt: Bischof und Hofkanzler. Religiöse Frührenaissance in Böhmen zur Zeit Karls IV. [Erfurter Theologische Studien 17] Leipzig 1964. Nr. 40.
(186v-187v)
Fünf Dinge, durch die der Mensch alles Leiden überwindetEs sint fünf ding mit denen der moensche vberwindet all die arebeit…Das erste ist das du mit gantzer warheit ansechest …–…
Das fünfte ist wenne dich not vnd arbeit an gat, so soltdu…Amen
(187v-188r)
Fünf Betrachtungen über die Leiden ChristiDer an vnsers herrn marter gedenket…das erste ist er weschet in mit dem wasser …–…
das funffte ist das ez im git vnmessige trost in dem ez andere lúte tröstende wirt
(188r-188v)
Drei Dinge, die den Menschen von Gott trennenDrú ding scheident den mönschen von gotte: Ein schnelle zunge ze vppigen worten vnd ein treger lip ze gottes dienste vnd ein vngeordenet hertze ze gůten gedenken […]
(188v-190v)
Wie man der Leiden Christi gedenken sollDas unser herre Jhesus Christus die marter litte …–…
das soll man tůn mit Einem lútteren hertzen vnd mit rehter andacht, des beger úch. Amen
(190v-191r)
Fünf Worte ChristiDis sint v wort, die vnser herre kunte einem gůten mönschen ndo er an sin marter an daht …
(191v-192v)
Vom SonntagDer junger sprach. Durch was heissen wir den sibenden tag sunnentag. Der meister: Dy sunetag beduttet dem almehtigen got
(192v)
KolophonGedenckent och min dûr got vnd vnser lieben frowen willen mir armen sunder, der dis buch geschriben hat. Ich bit och got fur ûch alle. Amen.
Die Handschrift war Ende des 15. bzw. Anfang des 16. Jahrhunderts im Besitz des Berner Dominikanerinnenklosters (Inselkloster St. Michael), Besitzvermerk, (v. Hd. Lucia von Moos ?, vgl. Schönherr (1954), S. 9f., Abb. nach S. 16; Bruckner, S. 60, Anm. 27), 192v: Dis puch ist der Erwirdigen geistlichen Fröwen in Sant Michels Insel;
vor 1587 befand sie sich in der ersten Solothurner Stadtbibliothek im Stiftspredigerhaus, Besitzvermerk, 1r: Civitati Salodorensi (mit Solothurner Wappenschild, Hd.: Laurenz Stapfer, Stiftsprediger, gest. 1587).
Erwerb der Handschrift: 1r: Besitzstempel der Kantonsbibliothek Solothurn.
Bibliographie:
Alfons Schönherr: Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn. Solothurn 1964. S. 7-9;
Albert Bruckner: Scriptoria medii aevi helvetica. XI: Schreibschulen der Diözese Lausanne. Genf 1967. S. 57-60;
Georg Hofmann: Seuses Werke in deutschsprachigen Handschriften des späten Mittelalters, in: Fuldaer Geschichtsblätter 45 (1969), S. 113-206, hier S. 185 (Nr. 492). Angaben teilweise unrichtig;
Albert Bruckner: Weibliche Schreibtätigkeit im schweizerischen Spätmittelalter. In: Festschrift Bernhard Bischoff. Hrsg. von Johanne Autenrieth und Franz Brunhölzl. Stuttgart 1971. S. 441-448, hier: S. 444;
Achim Masser und Max Siller (Hg.): Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa, Heidelberg 1987. Beschreibung der Hs.: S. 73-74;
Beat von Scarpatetti (Hg.): Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550. 3 Bde in 6 Teilbänden, Dietikon-Zürich 1977-1991. Bd. 3, 1;2: Die Handschriften der Bibliothek St. Gallen – Zürich in alphabetischer Reihenfolge. Bd 3,1, S. 267 (Nr. 875) [nicht aufgenommen in den Katalog der datierten Handschriften];
Claudia Engler: „Ein news puch. “Die „Bibliothek“ des Dominikanerinnenklosters St. Michael in der Insel. In: Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, hg. von Ellen J. Beer u.a., 2. Auflage, Bern 2003, S. 482-489 mit S. 640, hier S. 489, S. 640 Anm. 49, 50.