Kurzcharakterisierung:Die kleinformatige,
lateinischsprachige Handschrift aus dem Basler Kartäuserkloster thematisiert
insbesondere die Passion Christi. Das Devotionsbild im vorderen Spiegel greift
das Thema ebenso auf wie die Texte, die beispielsweise von Ludolf von Sachsen,
Bonaventura und Eckbert von Schönau stammen. Der erste Text der Handschrift,
ein umfangreicher Andachtstext De vita et passione Iesu
Christi, wurde möglicherweise vom Basler Kartäuser Heinrich Arnoldi
verfasst.(stu)
Frühere Signatur:
Kartause Basel, Bibliotheca antiqua,
E iiii (alt)
Beschreibstoff: Pergament
Umfang:
1 Band (224 Blätter): mit Buchschmuck/Illustration
Format: 12,5 x 8,5 cm
Seitennummerierung: Moderne Bleistiftfoliierung: 1-224
Lagenstruktur: 18 VI215 + V(225), wobei die erste Hälfte des vordersten und die zweite Hälfte des hintersten Bogens in den vorderen bzw. den hinteren Deckel geklebt sind; in der rechten unteren Ecke der recto-Seiten teilweise alte Lagenzählung a1, a2, etc. erkennbar, jedoch häufig weggeschnitten.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum einspaltig, Schriftspiegel 8-8,5 × 5,5-6 cm. Quadrierung und Liniierung mit dem Stift, nur in der letzten Lage erkennbar. 23 (gegen den Schluss bis zu 27) Zeilen.
Schrift und Hände:
Regelmässige Buchschrift vom Ende 15. Jh., der Bastarda nahe, Hand des Basler Kartäusers Johannes Gipsmüller; vgl. seinen Schreibereintrag im hinteren Deckel in Zierumrahmung: Per me fratrem Johannem Gipßmüller.
Buchschmuck:
Paragraphenzeichen wechselnd rot und blau; Zwischentitel und Strichelung der Satzanfänge rot
Initialen:
1r: Zierinitiale (I): Grauer Buchstabenkörper auf blauem Grund mit karminroten und olivgrünen Ausläufern an die seitlichen Ränder, die noch freigelassenen Partien des Randes oben und unten mit federgezeichneten Dekorationen (umrandete Pollenkörner) ausgefüllt, alles sehr grob handwerklich; Escher a. O. vermutet Nachbildung einer Druckinitiale.
Initialen auf Bl. 8v (Q), Bl. 91r (Q), Bl. 110v (D), Bl. 128v (D), Bl. 191r (G) rot mit Filigran, meistens Maiblumenmuster in der Farbe der Tinte, oder auf Bl. 10v (Q), Bl. 45r (Q), Bl. 60r (Q), Bl. 112v (J), Bl. 114v (J), Bl. 116v (J), Bl. 199r (J) usw. rot oder blau mit einfachen Zierschnörkeln, die von Bl. 194v an reicher ausgestaltet und zu einzelnen roten Federzeichnungen (Bl. 198v: Vogel, Hirsch) entwickelt sind; sonstige Initialen kleiner, wechselnd rot und blau.
Miniaturen/Zeichn.: Verhältnismässig reich ausgestattet; vgl. Escher, Miniaturen, Nr. 226. Im vorderen Deckel auf verschiedene Stücke des Bandes bezugnehmendes Devotionsbild: in rot-weiss profiliertem, rechteckigem Rahmen (8,8 × 5,8 cm) zwei durch horizontalen Querrahmen getrennte Darstellungen: oben auf hellblauem Grund Christus am Kreuz umgeben von den Marterwerkzeugen; unten vor blauem Hintergrund hellgelbe Gloriole mit geflammten Strahlen, darin auf hellgrüner Fläche vor weiss und blau getöntem Grund das nackte Jesuskind mit Nimbus, von den Marterinstrumenten die Geissel und die Rute in den Armen haltend, links und ausserhalb des Strahlenkranzes auf grüner Unterlage ein kleiner kniender Kartäuser mit zur Andacht offen nebeneinander erhobenen Händen zum Jesuskind aufblickend.
Einband:
In rotes, gepresstes Leder eingeschlagene, oben und unten über den Buchblock etwas hinausragende Holzdeckel; Rücken stark abgerieben. Auf beiden Deckeln identische Stempelmuster; drei durch vierlinige Ränder getrennte, konzentrische rechteckige Felder, das innerste und das mittlere an den vier Ecken durch Diagonalen verbunden; das äusserste durch Rollenstempel (einfaches Laubmuster) auf allen vier Seiten und durch Rosetten in den Ecken als Umrahmung gestaltet, das innerste mit sechs bzw. sieben quadratischen Blumenstempeln ausgefüllt, im mittleren regelmässiger Wechsel grösserer und kleinerer quadratischer Blumenstempel, deren symmetrische Anordnung auf dem hinteren Deckel durch zwei auf die Kante gestellte Stempel unten und rechts gestört ist. Innenseite des vorderen Deckels mit Devotionsbild (s. Illustration) und Besitzereintrag bedeckt; im hinteren Deckel unter dem Schreibereintrag (s. Schrift) zwei radierte Einträge (zuerst 5, dann 4 Zeilen) in Rot, jetzt unleserlich. Auf dem Rücken Reste von altem Titelschild aus der Kartause, Schrift von oben nach unten laufend: De vita Christi [medi]tationes. Kapitalband weiss/blau; am vorderen Schnitt rote Ledersignakeln.
Hauptsprache: Lateinisch
Inhaltsangabe:
vorderer Spiegel
Meditationsbild, darüber Titel und alte Signatur, darunter Besitzeintrag und Titel aus der Kartause
1r-110rHeinrich Arnoldi (?): Meditationes de vita et passione Iesu Christi>Vite domini nostri Ihesu Christi meditaciones. Et primo de hiis que precedunt incarnacionem<Ihesu bone, Ihesu pie, dulcissime domine, singularissime amice cum deo patre in unitate spiritus sancti, deus meus, creator meus, redemptor meus et salvator meus, qui propter nimiam tuam bonitatem et summam caritatem ac ineffabilem misericordiam …–…
desiderans ut omnes sancti tui pariter mecum. Tibi perpetuas referant graciarum actiones. Amen.
Stil und Tenor der Schrift könnten für Heinrich Arnoldi sprechen. Vgl. auch das Registrum von Jacob Lauber (überliefert in A IX 6, Bl. 44r–58v), das auf 46r als ersten Band aus dem Werk Heinrich Arnoldis die "vita domini nostri Iesu Christi meditaciones et orationes devotissimas" nennt; der libellus des Heinrich Arnoldi war aber offensichtlich kürzer als die vorliegende Schrift. Zu Vorlagen, Merkmalen und Stil des Textes vgl. Meyer/Burckhardt, Bd. 2, S. 859f.
110r-176rLudolf von Sachsen: Orationes e vita Christi>Nunc consequenter sequuntur hic alique devote oraciones ex vita domini nostri Ihesu Christi. [110v ] Ex prima parte prime medietatis patris Ludolphi de vita domini nostri Ihesu Christi. Preambulum<Domine Ihesu Christe, fili dei vivi, concede michi fragili et misero peccatori, vitam et mores tuos, pre oculis cordis semper habere …–…
in relevacionem omnis indigencie corporis et anime singulorum. Amen.
182 Orationen. Für Details siehe Meyer/Burckhardt, Bd. 2, S. 861
Z.B. gedruckt bei Koberger, Nürnberg 1495 (GW M19220)
176r-190vEckbert von Schönau (hier Anselm von Canterbury zugeschrieben): Stimulus amoris dilectionis>Sequuntur meditaciones de passione domini nostri Ihesu Christi et possunt dici super ebdomadam vel alias quandocumque placuerit. Et sunt meditaciones s. Anshelmi<Ihesum Nazarenum a Iudeis innocenter condempnatum …–…
anime querenti te.>Hec Anshelmus. etc.<
190v-201vDe passione domini secundum horas>Sequuntur modo alie devote oraciones pro graciarum actione sue sanctissime passionis. Et valent multum pro devocione prout patebit<[191r ] Gracias ago tibi domine Ihesu Christe pro sexaginta et quadringentis et quinquies mille vulneribus, que in innocentissimo corpore tuo extiterunt, dum a planta pedis usque ad verticem …–…
ad resurrectionis gloriam merear pervenire. Amen.
Bis auf eine Ausnahme (auf Bl. 200v) gleichmässige Anlage: Je ein mit domine I. Chr. beginnendes Gebet zur Einleitung der hora, dann eine verschieden grosse Anzahl oftmals kurzer, stereotyper preces und invocationes, deren erstes Wort immer Ihesus ist
201v-211rPreces variae ad Iesum Christum sive BMV>Hic sequuntur alie devote orationes de passione domini nostri Ihesu Christi<O mea unica singularisque fiducia, piissime Ihesu Christe. Horum [sic] hodie bonitati tue memoriam represento ut in omni tribulacione …–…
ubi beata trinitas vivit et regnat deus omnipotens in substancia unus et in personis trinus pater et filius et spiritus sanctus. Per omnia secula seculorum. Amen.
212r-224vBonaventura: Officium de passione domini>Incipit hic cursus de passione domini nostri Ihesu Christi. Et potest dici omni sexta feria pro graciarum actione sue passionis<Tuam crucem adoramus domine, tuam gloriosam recolimus passionem. Miserere nobis qui passus es in cruce pro nobis. >Ista antiphona debet dici ad omnes horas ante incepcionem<. Domine labia mea …–…
per infinita regnemus seculorum secula. Amen.>Laus tibi Christe qui pateris in cruce pendens pro miseris cum patre qui regnas in celis nos reos salva in terris. Amen.<
Zu den Abweichungen von Bonaventuras Text und Identifikation von weiteren Textteilen vgl. Meyer/Burckhardt, Bd. 2, S. 863f.
224vQuam utile sit de passione Christi meditariNota. Magnus Albertus doctor predicatorum dicit: Simplex recordacio seu meditacio passionis Christi …–…
vel si cottidie legeretur unum psalterium. etc.
Ebenfalls überliefert in B XI 15; zu den Abweichungen vgl. Meyer/Burckhardt, Bd. 2, S. 864. Ob der Text aus der pseudoalbertinischen Schrift "De utilitate meditandi passionem Christi" stand, ist nicht gesichert.
Entstehung der Handschrift:
Aus der Basler Kartause. Einträge im vorderen Deckel, Hand des Priors Jacob Louber: über dem Devotionsbildchen Ti. de vita Christi meditationes, Signatur E iiii, darunter Liber Cartusiensium in Basilea continens meditationes et orationes de vita et passione Ihesu Christi, sowie Bl. 224v unter dem Text nochmals Cartusiensium in Basilea. Im alten Standortsverzeichnis pro antiqua (AR I 2) unter dieser Signatur; im alphabetischen Katalog Urban Mosers (AR I 4a), Bl. 230v, unter der Kolumne Pa mit dem Titel Orationes devotissime et breves de passione Domini.
Bibliograph. Nachweise
Escher, Konrad. - Die Miniaturen in den Basler Bibliotheken, Museen und Archiven. - Basel, 1917, S. 165 Nr. 226
Die mittelalterlichen Handschriften der Universitätsbibliothek Basel : beschreibendes Verzeichnis. Abt. B, Theologische Pergamenthandschriften / bearb. von Gustav Meyer und Max Burckhardt. - Basel : Universitätsbibliothek, 1960-1975. - Bd. 2, S. 859-865
Scarpatetti, Beat Matthias von u.a. - Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz ..., Bd.1. - Dietikon; Zürich, 1977, Nr. 387