Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S I 144
Creative Commons License

Schönherr Alfons, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn 1964, S. 106-107.

Handschriftentitel: Nicolaus de Lyra: Expositio Psalterii [Deutsch durch Heinrich von Mügeln]
Entstehungszeit: 15. Jahrh. (um 1460/70)
Beschreibstoff: Pap. Wasserzeichen: 1. Ochsenkopf mit Stab und Stern (Typus Briquet 15082), mit Variante.
Umfang: 340 Bl. + II
Format: 28,4/21 cm
Seitennummerierung: Moderne Bleistiftfoliierung (nur 1-137); bei der Katalogisierung vollständig durchfoliiert. Unbeschrieben: (2v) (3r) und (340v). Fortlaufende Zählung (für Psalmen und Cantica) am oberen Rand durch römische Zahlzeichen.
Lagenstruktur: Sexternen mit Reklamanten.
Seiteneinrichtung: Schriftraum und Randkolumne für den lateinischen Psalmentext (Psalterium Gallicanum) blind vorgezogen.
Schrift und Hände: Gepflegte gotische Buchkursive (littera cursiva textualis) aus einer einzigen anonymen Hand mit oberrheinischem Einschlag.
Buchschmuck: Initialen und Überschriften rot, Satzanfänge rot gestrichelt, Textlemmata rot unterstrichen.
Einband: Brauner Kalblederband über leicht abgeschrägten Holzdeckeln (restauriert 1951). Beide Deckelflächen durch vierfache Streicheisenlinien aufgeteilt; Rahmen und Mittelfeld mit spätgotischen Blinddruckornamenten. Arbeit eines seit ca. 1457 in Bern, Basel und Freiburg i. Br. scheinbar im Dienste der Deutschherren tätigen Wandermeisters. Aus dem insgesamt 15 Nummern aufweisenden Stempelvorrat, (der sich z.Zt. auf 7 Einbände verteilen läßt), sind hier die Nummern 1, 3 und 7 (= rechteckiger Blütenstempel, gotisches Schriftband maria mit Distelzweig und kleine Punktschleife) verwendet; vgl. Jahresbericht 31/1960 (1961) 51 mit Abbildung 3 (siehe auch Horodisch, Buchbinderei Abb. 8 Nr. X-XII). Aus demselben Buchbinderatelier auch S I 145 und S I 159. Rücken vierbündig; rot-grün umstochenes Kapital (Fischgrätenmuster). Die zehnteiligen Bronzebeschläge aus beiden Deckeln verloren. Zwei vom Rückdeckel ausgehende Schließbänder (Krampen erneuert, Haften alt). Pergamentspiegel (aus provenienzfremder Urkundenmakulatur) bei der Einbandrestaurierung eingesetzt.
Hauptsprache: Deutsch
Inhaltsangabe:
  • (Bl. 1r-2r) >Das ist das register vnd tavel u̍ber den psalter<;
  • (3v) Überschrift: >Ku̍ng dauit der prophete<;
  • (4r-v) [Prolog]. >Hie vahet an die vorrede wer die glose u̍ber den psalter gemacht hat vnd Nicolaus von Lira ist sin name, ein barjůsser vnd ein hocher lerer etcetera.< Propheta magnus surrexit in nobis, Luce [7, 16]. Es ist zů mercken, das ettliche psalme sint …–… wider geschrien hett, etcetera;
  • (5r-332v) >Dis ist der tu̍tsche psalter in zweyerley wise. Zům ersten die glose mit dem texte vnd zů dem andren male die latinschen verse vsswendig uff dem spacium wer in gemacht hat.< [Ps. 1] Selig ist der man, der nit abgieng in den rat der vngůten; das ist: selig ist der, der da veste stat …–… zů sin himelschen frouden. Amen (Ps. 150).
  • Daran (mit der Überschrift auf 332v: Hie vachent an die psalmen, so man nemet die Cantica) die Cantica des Breviers in anonymer deutscher Übersetzung (ohne Kommentar) und mit dem lateinischen Text aus der versio Vulgata (kollateral):
    • (333r-340r) [Canticum Isaiae (Is. 12, 1-6)] Ich bekenne dir, herre, wenn du hast mit mir gezornet Confitebor tibi, Domine, quoniam iratus es michi …–… anders mag er niemer behalten werden salvus esse non poterit [=Symbolum Quicumque]. Deo gracias.
      RB 4, 60 n. 5857 (mit Erwähnung der vorliegenden Hs.).
  • Zur Überlieferung dieses Psalmenkommentars (bisher rund 40 Hss. bekannt) siehe Mitteilungen des Historischen Vereins für Steiermark 47 (1899) 40-48 sowie zusammenfassend F. W. Ratcliffe, The Psalms Translation of Heinrich von Mügeln: Bulletin of the John Rylands Library 43 (1961) 426-451 (mit Handschriftennachweis).
  • Vorliegende Fassung entspricht der 7., aus dem franziskanischen Kreise stammenden Textklasse, vgl. W. Walther, Die deutsche Bibelübersetzung 3 (1892) 588-600 und 718-719. Über die literarische und geistesgeschichtliche Einstufung dieser Verdeutschung des Psalmenkommentars durch Heinrich von Mügeln siehe besonders Anzeiger f. deutsches Altertum und deutsche Literatur 57 (1938) 100-102 und H. Rupprich, Das Wiener Schrifttum des ausgehenden Mittelalters = SBW 228, 5 (1954) 65-67; vgl. auch Fl. Röhrig, Miniaturen zum Evangelium des Heinrich von Aurhaym = Klosterneuburger Kunstschätze 1 (1961) 8-12.
Entstehung der Handschrift: Die Hs. bildet durch gleichen Einband und teilweise identische Papiermarke eine Gruppe mit S I 145 und S I 159 (siehe dort). Nähere Hinweise über die Herkunft des Codex z.Zt. noch nicht ermittelt.