Frauenfeld, Kantonsbibliothek, ALT MSC 3
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Beschreibung von Dr. Regine Abegg und Maria Solovey, Herbst 2019.

Handschriftentitel: Prozessionale von St. Katharinental (TG)
Entstehungsort: unbekannt, der zweite Teil könnte im Dominikanerinnenkloster St. Katharinental entstanden sein (siehe unten)
Entstehungszeiten:
  • zweites Viertel des 15. Jahrhunderts (Teil 1)
  • zweites Viertel des 16. Jahrhunderts (Teil 2)
Frühere Signatur: T 1588 (Historisches Museum Thurgau)
Beschreibstoff: Pergament (Teil 1); Papier (Teil 2)
Umfang: 81 Blätter (Teil 1); 24 Blätter (Teil 2)
Format: 19.5 x 13.5 cm
Seitennummerierung: neuere Foliierung mit Bleistift: I-III. 1-114
Einband: Brauner Ledereinband des 17. Jahrhunderts mit Messingecken und –schliessen. Ursprünglich goldiger Schnitt. Zwei Vorsatzblätter aus Papier, das eine mit Gesangtext und vierzeiliger Quadratnotation zu "Veni Sponsa Christi". Goldprägung mit einem mittigen Christusmonogramm im Strahlenkranz auf dem Vorderdeckel und einer Madonna mit Kind im Strahlenkranz auf dem Hinterdeckel. Der Rücken wurde 2019 restauriert und die Schliessen ersetzt. Dabei kamen drei fragementarische Blätter mit vierzeiliger Quadratnotationen und weiterem Gesangtext hervor. Diese sind wurden dem Vorsatz angebunden.
Entstehung der Handschrift: Während der erste Teil vermutlich nicht im und für das Kloster St. Katharinental (TG) entstand, benennt der zweite Teil Stationen und mitgeführte Reliquien und ist damit auf die Prozessionen des Dominikanerinnenklosters ausgelegt, eine Entstehung innerhalb St. Katharinentals ist deshalb möglich.
Provenienz der Handschrift: Nach der Aufhebung des Klosters 1869 beschlagnahmte der Kanton alles, was ihm wertvoll schien, u.a. auch Handschriften, die er zum grössten Teil sofort auf Auktionen verkaufte, darunter auch das Prozessionale. 1912 konnte es vom Historischen Verein Thurgau durch finanzielle Unterstützung der Schweizerischen Eidgenossenschaft beim Antiquar Helbing in München für die historische Sammlung erworben werden und kam in die Bestände des Historischen Museums des Kantons Thurgau.
Erwerb der Handschrift: 2018 wurde das Prozessionale vom Historischen Museum in die Kantonsbibliothek Thurgau überführt.
Bibliographie:
  • Alois Lötscher. Das Prozessionale von St. Katharinental (Thurgauische Beiträge zur vaterländischen Geschichte 52). Frauenfeld 1912, S. 82-86;
  • Albert Knoepfli. Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau. Bd. 4: Das Kloster St. Katharinental. Basel 1989, S. 182-184;
  • Buchmalerei im Bodenseeraum 13. Bis 16. Jahrhundert, hrsg. im Auftrag des Bodenseekreises von Eva Moser, Friedrichshafen 1997, S. 315f.
  • Regine Abegg. «Wenn ain schwöster im chloster stirbt...» − Begräbnisriten im Kloster Münsterlingen. In: Zwischen Thurgauerkrieg und Ittinger Sturm. Umbruch am Bodensee. Vom Konstanzer Konzil zur Reformation (Der Thurgau im späten Mittelalter, Bd. 3/4). Hg. von Silvia Volkart. Zürich 2018, S. 272−277.
Kodikologische Einheit: Teil 1
Entstehungszeit: zweites Viertel des 15. Jahrhunderts
Beschreibstoff: Pergament
Lagenstruktur: : (IV-1)7 + 18 + 3 IV32 + III38 + (IV-3)43 + 2 IV59 + (II-3)62 + IV70 + (V-3)77 + II81, zu Beginn mit Wortreklamanten
Seiteneinrichtung: 14 x 8 cm
Schrift und Hände: gotische Minuskel von einer Hand
Buchschmuck:
  • Rote, blaue und schwarze Initialbuchstaben
  • 7 illuminierte, mehrfarbige Initialen mit Szenen aus dem Evangelium, die zur Illustration des Buchtextes und der jeweiligen Prozession dienen. Die Bilder gelten nicht als besonders künstlerisch, sind jedoch von einer geübten Hand gemalt. Als Vorbild sollen niederländische Buchillustrationen gedient haben.
    • f. 1r: Einzug Christi in Jerusalem mit Wappen der Familie Welter von Blidegg
    • f. 39r: Letztes Abendmahl mit Fusswaschung nach dem Johannesevangelium (Joh 13,1-11)
    • f. 49r: Christus am Kreuz
    • f. 52r: Christi Himmelfahrt
    • f. 56v: Monstranz mit Wappen der Zürcher Herren von Bonstetten
    • f. 71v: Beschneidung des Herrn nach dem Lukasevangelium (Lk 2,21)
    • f. 77r: Maria im Sterbebett zwischen den Aposteln und Marias Aufnahme in den Himmel
Inhaltsangabe:
Enthält Gesänge und Gebete durch das Kirchenjahr. Die gesungenen Teile sind mit Quadratnotation in Schwarz gesetzt. Die knappen Handlungsanweisungen zur Liturgie in Latein sind in roter Tinte gesetzt (Rubriken). Sieben Initialminiaturen leiten die Christus- und Marienfeste ein.
  • 1r-38r Palmsonntag.
    An die kirchlichen Gesänge und Gebete für die Palmprozession schliessen sich die Reponsorien und Antiphonen an, die im Kapitelsaal und an den sieben Altären in der Klosterkiche gesungen wurden.
  • 38v-49r Gründonnerstag. >Ad mandatum.<
  • 49r-56r Karfreitag. >In parasceve.<
  • 56r-62v Fronleichnam (mit Prozession). >In festo corporis Christi.<
  • 63r-71r Fest des Ordensheiligen Dominikus (4. August). >Processio de beato Dominico.<
  • 71v-77v Mariä Lichtmess. >In festo purificacionis beatae Marie.<
  • 77v-81v Mariä Himmelfahrt (mit Prozession). >In festo assumpcionis beate virginis Marie.<
Entstehung der Handschrift: Die einzige Verbindung der Familien Welter von Blidegg und der von Bonstetten findet sich im 15. Jahrhundert, als Ulrich Riff genannt Welter von Blidegg die Verena von Bonstetten heiratete. Zwei ihrer Töchter Ursula und Elsbeth Welter sind als Klosterfrauen in Töss belegt. Das Prozessionale könnte in diesem Zusammenhang im zweiten Viertel des 15. Jahrhunderts entstanden und im Kloster Töss aufbewahrt worden sein. In den folgenden 100 Jahren könnte die Handschrift in das in enger Verbindung zum Dominikanerinnenstift Töss stehende Kloster St. Katharinental gelangt sein. Zudem weist das Prozessionale von Münsterlingen Ähnlichkeiten zu jenem aus St. Katharinental auf (Zürich, Schweizerisches Nationalmuseum, LM 2799 - siehe Abegg (2018), S. 277).
Kodikologische Einheit: Teil 2
Entstehungszeit: zweites Viertel des 16. Jahrhunderts
Schrift und Hände: Textualis einer Hand
Buchschmuck: rote und blaue Initialenbuchstaben
Inhaltsangabe:
  • 82r-91r Gebete und Gesänge zu den sogenannten Crützgäng (wohl Prozessionen): Beim Crützgang von St. Barbara (4. Dezember) Vermerk, dass für die Ordensschwester Barbara von Payer ein Pater noster, Ave Maria und Placebo zu beten sei (89v).
  • 91r-91v Jahrzeitenverzeichnis.
  • 91v-103r Begräbnisordnung für die Klosterschwestern mit ausführlichen liturgischen Handlungsanweisungen in roter Tinte. Item wen ain schwester im kloster stirbt […].
  • 104v-105v Prozessionsanordnung für Fronleichnam mit detaillierten Handlungsanweisungen in schwarzer Tinte und Aufzählung der mitgeführten Reliquiare. Die Prozession beginnt und endet im Nonnenchor. Als Prozessionsstationen werden u.a. folgende Orte in der Kirche und im Klosterareal genannt: neben dem altar [Hochaltar im Nonnenchor], in den dreÿen creüzgängen [in den drei Kreuzgangflügeln], vor dem Refenthal [vor dem Refektorium], in dem Balatorium [Parlatorium], vor dem weinkeller, beÿ dem kirchoff [beim Friedhof], beim Rheinthürlin [Rheintor], im chor vor unser frowen [im Nonnenchor vor der Marienstatue]. Im Prozessionszug, der von der Priorin, den Klosterfrauen und vom Priester gebildet wird, werden folgende Reliquiare mitgeführt: der sarch [vermutlich Schrein mit den Reliquien des Ordensheiligen Dominikus], S. Johans houpt [Johannesschüssel, Kupfer, Silber, 3. Viertel 15. Jh., Schweizerisches Nationalmuseum, Dep. 13], unsers herren fronleichnam [Monstranz].
Entstehung der Handschrift: Der jüngere Teil des Münsterlinger Prozessionales (LM 2799 f. 72v-74v) scheint vom zweiten Teil des St. Katharinentaler Prozessionales abgeschrieben worden sein, was auf eine Entstehung des zweiten Teils vor 1553 hinweist. Ein weiterer Hinweis auf die Entstehung der Handschrift in der Jahrhundertmitte findet sich auf f. 89v mit der Erwähnung der "s.[oror] Barbara Payer". Barbara Peyer war (Ober-)Kustorin (1522-26, 1530), (Sub-)Priorin (1541, 1551/52) und Schaffnerin (1542/43, 1553) im Kloster St. Katharinental und verstarb im Jahre 1564.