St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 711
Lenz Philipp / Ortelli Stefania, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 3: Abt. V: Codices 670-749: Iuridica; Kanonisches, römisches und germanisches Recht, Wiesbaden 2014, S. 175-177.
Handschriftentitel: Abbreviatio Decreti Gratiani »Quoniam egestas«
Entstehungsort: Engelberg
Entstehungszeit: 3. Viertel 12. Jh.
Frühere Signatur:
D.n. 142
Beschreibstoff: Pergament
Umfang:
240 Seiten. Buchblock 120 Blätter.
Format: 29 x 20,5
Seitennummerierung: Paginierung I.v.A. 1-240.
Lagenstruktur:
15 IV240. Wohl zeitgenössische Lagenzählung am Lagenende, dann zu Lagenbeginn, unten Mitte: I (p. 16) – II (p. 32), III (p. 33) – XV (p. 225).
Zustand: Pergament, manchmal Seitenrand mit Löchern oder unregelmässig, p. 197/198, 203/204 Riss mit weissem Faden vernäht, p. 1 und 240 stark gebräunt.
Seiteneinrichtung:
Schriftraum p. 2–18, Z. 2 zweispaltig, 20,5–21 × 14–15 (6,5), 27–30 Zeilen, p. 18, Z. 3 – p. 240 einspaltig, 20,5–21 × 12–12,5, 30 Zeilen, p. 24–31 31 Zeilen, Metallstiftlinierung – bei Bedarf auch speziell für längere Marginalien (z. B. p. 216, 217) –, Zirkellöcher am äusseren Blattrand.
Schrift und Hände:
Frühgotische Minuskel des 3. Viertels des 12. Jh., von mehreren Händen, in brauner und schwarzer Tinte:
- 1. Hand p. 2–178, Z. 7, p. 179, Z. 11 – p. 183, Z. 17, p. 196–200;
- 2. Hand p. 178, Z. 7 – p. 179, Z. 11, p. 183, Z. 17 – p. 194, Z. 9, p. 201–240;
- 3. Hand, ähnlich der 1. Hand (aber verschiedenes g und a), p. 194, Z. 10 – p. 195, Z. 30.
Buchschmuck:
- p. 18 zu Beginn des Prologs und des Texts je eine Spaltleisteninitiale mit Ranken und Spangen, 3- bzw. 12-zeilig, rot, braun und schwarz, Letztere als bewohnte Initiale (Omne) mit Oberkörper und Kopf eines Mannes mit Bart und Kappe gestaltet;
- p. 46, 58, 76, ... 221 zu Beginn der Causae meist 4–6-zeilige rote Lombarde oder Silhouetteninitiale, z. T. mit Schaftaussparungen, ab p. 177 meist gespalten und zweifarbig in Rot und Blau (littera duplex), p. 118 Figureninitiale (Tercia), Mann mit weiterer Person quer auf den Schultern in brauner Federzeichnung, deren Enden bzw. Hintergrund eine rote Lombarde T bilden, p. 194, 224, 228, 231 Initialen ausgespart und nicht ausgeführt;
- zu Beginn der Kapitel bzw. Canones jeweils rote Inscriptio und eine rote Majuskel, p. 223–224 Inscriptiones ausgespart und nicht geschrieben;
- bei den Dicta rotes Paragraphenzeichen.
- Kopfzeile mit Angabe der Causa: I (p. 47) – XXV (p. 200), XXVIII (p. 220) – XXVIIII (p. 222).
- P. 46–214 rote lateinische Buchstaben für Verweise mittels des Systems der »roten Zeichen« (vgl. Dolezalek/Weigand).
Spätere Ergänzungen:
p. 166 oben, 2. Hälfte des 12. Jh., Wiederholung des Beginns der Marginalglosse auf derselben Seite in anderer Tinte; p. 1 (s. u.) des 14./15. Jh., p. 37 des 14./15. Jh. zu D. 56 c. 1 (verkürzt): De filiis prespiterorum, identisch mit der Notiz auf einem Papierzettel (s. u.).
Einband:
- Einband wohl aus den 1450er-Jahren. Leder (Wild, Alaungerbung) auf Holz (Buche). V-förmige Einschnitte beim Einschlag. 2 Hakenverschlüsse (Adler BV.3.1.1) mit gespaltenen Rinnenlagern (d2; in Form 10), Haken (Typ 1d), eingelassenen Lederriemen und aufgenagelten Gegenblechen in Form eines Vierblatts (BV.8d) am Rand des Hinterdeckels. Auf dem Rücken fragmentarisches Pergamentschild mit roter Signatur U, auf dem Vorderdeckel Abdruck eines Pergamentschilds mit der Aufschrift Excerptiones decretorum magistri Graciani. Gotische Deckelverbindung. Heftung auf 4 erhabene gespaltene Lederbünde, die mit Holzpflöcken in den Deckeln befestigt sind. Einfach umwickelte Kapitale mit knapp überstehendem Rückenleder.
- Auf der Innenseite des Vorderdeckels und des Hinterdeckels von innen bis etwa zur Hälfte Abdruck und Leimspuren ehemaliger Spiegelblätter, auf der Innenseite des Hinterdeckels auf der rechten Hälfte Abdruck der letzten Seite p. 240. Ein kleiner Papierzettel (ca. 2 × 10) mit der Notiz De filiis prespiterorum (s. o.) und Resten einer Zeichnung zwischen p. 36 und 37 aufgefunden, jetzt dem Codex in einem Umschlag beigegeben.
Inhaltsangabe:
- 1 Besitzeintrag. Gehoͤrt in das gotzhus zů Sant Gallen. Eintrag. Dicendum quod prohibitio sit perpetua … C. xxxv q. iii [C. 35 q. 3]. Stempel D. B., Inhaltsangabe von Pius Kolb [s. o.], sonst leer.
-
2-240
Abbbreviatio Decreti Gratiani »Quoniam egestas« (fragmentarisch) cum glossis
- (2-18) Capitula der Partes I–III. D. 1. De iure …–… De baptismo. Parte vel ultima.
- (18) Prolog. >Incipiunt exceptiones decretorum Gratiani< Quoniam egestas quę plures sepe consueuit opprimere …–… istis quaternionibus adunaui.
- (18-240) Text. >Incipit primum de iure< Omne ius aut diuinum est aut humanum …–… ab ecclesiastica communione priuatus// bricht am Seitenende ab. Darin Längere diskursive Glossen, darunter Solutiones contrariorum, Allegationen, »rote Zeichen« [s. o.].
Entstehung der Handschrift: Aufgrund der Buchmalerei ist die Hs. dem Skriptorium des Klosters Engelberg unter Abt Frowin (1147–1178) zuzuschreiben (Steinmann).
Erwerb der Handschrift:
- In der St. Galler Klosterbibliothek spätestens seit 1461, weil die Hs. im Katalog von 1461 unter der Rubrik Libri iuris canonici dem Eintrag U 21 Excepciones decretorum magistri Graciani (Ed. MBK 1, S. 177, Z. 18) entspricht. Besitzeintrag des 15. Jh. p. 1 (s. u.).
- Stempel D. B. (p. 1, 236) von 1553–1564. Inhaltsangabe von Pius Kolb p. 1: Excerpta ex Gratiano, quo non solum utilia sed quam maxime necessaria videntur. Alte Signatur Pius Kolb p. 1: D.n. 142.
Bibliographie:
- Stelling-Michaud, Catalogue, S. 26, Nr. 9.
- Gero Dolezalek, Rudolf Weigand, Das Geheimnis der roten Zeichen, in: ZRG KA 69 (1983), S. 143–199;
- Martin Steinmann, Aus dem Frowin-Scriptorium, in: Titlis-Grüsse 82 (1996), S. 95–96.
- Szirmai, Repair and Rebinding: »Typ B«;
- Szirmai, Dokumentation.
- Einl. S. XXII.