St. Gallen, Kantonsbibliothek, Vadianische Sammlung, VadSlg Ms. 294
Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. (= Monasterium Sancti Galli, Bd. 3) Band I: Textband. St. Gallen 2008, S. 415-417.
Titre du manuscrit: Evangeliar
Origine: St. Gallen
Période: letztes Viertel d. 9. Jh.
Catalogue number:
102
Volume:
324 Bll.
Format: 22 x 19,5 cm
Composition des cahiers:
Zumeist Quaternionen und Quinionen: III6 + II10 + III16 + 11 IV104 + 14 V244 + III250 + 6 V310 + VI322.
Mise en page:
Schriftspiegel mit je zwei Versalspalten 13,5 x 14,S cm, einspaltig zu 16 Zeilen.
Type d'écritures et copistes:
Karolingische Minuskel in schwarzer Tinte wohl von einem Schreiber.
Décoration:
- Anfangsbuchstaben der Kapitel in Minium-Majuskeln, golden und silbern schattiert.
- Titel- und Initialzierseiten in Gold, Silber und Minium, fol. 18v mit etwas Purpur und Grün, fortlaufende zeilen in Capitalis und Uncialis, abwechselnd mit Gold und Silber oder mit Minium, schattiert mit Gold und Silber.
Reliure:
Alte abgeschrägte Holzdeckel, weißer Lederüberzug, auf dem Vorderdeckel der Besitzvermerk: Iste liber est sci. Galli (kleine Schrift, 15. Jh.). Das Leder weit über die Kanten in die Innendeckel geklebt, dort die Freiräume beklebt mit Seidenbrokatresten, die einst die Außendeckel überzogen (vgl. Sang. 54 - Nr. 108): gelber Seidenbrokat mit grün-roten Rautenreihen, diagonal ein Band mit gelben, rot umrandeten Kreismustern, purpurfelder, im Rückdeckel oben großes Kreissegment mit zwei roten Kreisflächen in Grün (wohl Orient, 8.-9. Jh.).
Matériel supplémentaire: Im Vorderdeckel als Spiegelblatt eine Urkunde aus dem St. Galler Klosterarchiv von Papst Innozenz IV. (1243 - 1254) für Bischof Volkard von Chur, ausgestellt am 11.10.1248 in Lyon.
Sommaire:
- fol. 1r leer
- 1v-5v Prol. Novum opus mit Initiale B(eato papae Damaso)
- 7r-7v Prol. Sciendum etiam,
- 8r-8v Arg. Matheus qui et Levi,
- 10r-10v Prol. Plures fuisse;
-
11r-16v
zwölfseitige Kanonfolge mit kleinen, hufeisenförmigen Bogen in Minium, Gold und Silber, spärlicher Akroterschmuck,
- (17r) leer;
- 17v-95r Mt-Ev.
- 95v-97r >Praefatio Bedae presbiteri in Marcum evangelistam.< Quae causa fuerit Marco
- 97r Prol. Marcus interpres
- 97r-98v Arg. Marcus evangelista
-
98v-154v
Mc-Ev.
>
98v Incipit Evangelium secundum Marcum<
- drei Zeilen Capitalis in Gold und Silber
- 99r Initialzierseite I(nitium), ganzseitige Initiale mit unsymmetrischer Mittelschleife und vegetabiler Füllung;
- 155r Arg. Lucas medicus natione Syrus
-
155v-250v
Lc-Ev.
>
155v Incipit Evangelium secundum Lucam.<
- Q(uoniam quidem), als Majuskel mit nachfolgenden Zeilen in Capitalis und Rustica mit Gold und Silber,
- 156r Initialzierseite F(uit in diebus), ganzseitig,
- 251r Arg. Iohannes apostolus et evangelista
- 251v-318r Io-Ev. > 251v Incipit Evangelium secundum lohannem< 252r Initialzierseite I(n principio), ganzseitige Initiale mit vegetabiler Füllung, ohne Mittelknoten, Blattenden
-
318v-322r
>
Titel: Augustini (Capitalis in Minium):
<
Igitur omnia quae circa tempus resurrectionis facta sunt …–…
sic veniet quemadmodum vidistis eum euntem in caelum
- Augustinus, De consensu evangelistarum libri IV, Lib.III, cap.69 und 83 Excerpt
- Stegmüller 1467
-
322v
allegorische Verse auf die Evangelisten und deren Symbole; Gedicht auf das Paradies. Allegorien und Gedicht (wohl 10. Jh.):
Hominem - Matheus clamat / Homo de terris
Regem - Marcus rugit / Leo de silvis Sacerdotem - Lucas mugit / vitulus ex aditis
Deum - lohannes dangit / Aquila de celis
Terra polus pontus faciant sibi singula cantus
Plausibus intranti letentur et imperitanti
Pontus inundetur stet terra polusque rotetur
Tres sibi collisi similent laudes paradysi
Invenientque locum septem discrimina vocum
si duo sunt terris duo ponto bis duo celis
Nam Domini pacto septem spatiantur in octo.
Filiation: Das ursprüngliche, dem Schriftspiegel angemessene fast quadratische Format erinnert an die spätantiken Vergil-Handschriften (Vat. lat. 3225, Vat. lat. 3867) und verrät die Vorliebe des Herstellers für klassische Formen. Andererseits teilt der Schreiber Gewohnheiten wie die Überlängung des i bei in-Kombinationen (98v 3. Z. Incarne, 4. Z. In nos [In getilgt durch Unterpunktung], 7./8. Z. Incrementum) mit Schreiber B im Folchart-Psalter Nr. 97 und dem Hauptschreiber von Morgan 91 (Nr. 100), denen das Evangeliar auch in der Initialomamentik anzuschließen ist. Wie der Beda-Prolog zu Mc und das Betonen des eigentlichen Beginnes des Lc-Ev. mit der Initiale F(uit) fol. 156r erweisen, steht die Hs. auch damit in der St. Galler Tradition. Die Augustinus-Homilie am Schluss des Johannesevangeliums findet sich schon auf p. 396-398 als Prolog zum Johannesevangelium im Sang. 50 (Nr. 80). Nach den auf den Innendeckeln erhaltenen Seidenbrokatresten zu schliessen, war der Einband - ähnlich wie der Gundis-Codex (Nr. 107) - ursprünglich ganz mit Stoff überzogen.
Bibliographie:
- Gustav Scherrer, Verzeichnis der Manuscripte und Incunabeln der Vadianischen Bibliothek in St. Gallen, St. Gallen 1864, Nr. 294.
- Merton, s. 49, Taf. XL.
- Landsberger, Folchart-Psalter, S. 15 f, Abb. 9 b, 10 b.
- Bruckner III, S. 52 f.
- Knoepfli, Kunstgeschichte I, S. 31.
- Arno Mentzel-Reuters, Ein Evangeliar aus der St. Galler Schreibschule unter Salomon III. (ÖB Aachen, Cod. Wings I), in: Aachener Kunstblätter 59, 1991-1993, S. 71-83, bes. S. 71, 73, 75f., Abb. 7.
- Otto P. Clavadetscher, Eine neue Quelle zur Geschichte des Streits um den Churer Bischofsstuhl im 13. Jahrhundert in: Montfort 49, 1997, s. 230-234, bes. 231f. (mit Abb. der Urkunde Innozenz IV. S. 233).
- von Euw, in: Kloster St. Gallen, S. 188.
- Sara Janner, Romain Jurot, Die handschriftliche Überlieferung der Werke des heiligen Augustinus, Bd. IX/I Schweiz, Werkverzeichnis, Wien 2001, S. 38.