Krakow, Jagiellonian Library, Depositum, (Ms. Berol. Theol. Lat. Qu. 11)
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Von Euw, Anton, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts. (= Monasterium Sancti Galli, Bd. 3) Band I: Textband. St. Gallen 2008, S. 518-520, Nr. 149.

Manuscript title: Tropar-Sequentiar
Place of origin: St. Gallen
Date of origin: um 1024–1027
Catalogue number: 152
Extent: 226 Bll.
Format: 21 × 13,5 cm
Collation: Quaternionen und Binionen
Page layout: Schriftspiegel 12 × 8 cm, einspaltig zu 13 (Tropar) bzw. 16 (Sequentiar) Zeilen.
Writing and hands: karolingische Minuskel von einem Schreiber (Hoffmann), der auch an Nr. 150 und 155 beteiligt war.
Decoration:
  • Ausstattung wie Nr. 150 und Nr. 155
  • Notker-Bild fol. 144r in Deckfarbenmalerei mit Grün, Blau, Ocker, Rosa, Weiß, Schwarz, Gold und Minium.
Binding: Der alte Einband (vgl. unten) entfernt. Weißer Wildledereinband über Pappe, Platten- und Stempelverzierung (18. Jh.). Die Hs. ist in der jüngeren Mindener Bischofschronik von Heinrich Tribbe (um 1410–1464) vorzüglich beschrieben (vgl. Milde 1993, S. 14 f., nach der Ed. von Löffler, S. 132–133). Da der Text für das Gesamtverständnis der Sigebert-Hss. wichtig ist, geben wir ihn hier wieder:
Quintum continet tropos et sequentias et multa alia singularia. Hic liber secundum operum sui formam in imaginibus eburneis sicut liber gradualis formatus est. In huius libri cornibus imagines, videlicet Marcelli, Ysonis, Otharii, Notheris habentur. Isti enim tropis et sequentiis operam dedisse creduntur. Versus vero, qui sequntur, aureis literis ibidem reperiuntur:
Continet iste liber varios modulamine versus, ut ventum teneat, qui velit esse tenax. Praedicti Notheris e gies pulchre est depicta, iuxta quam hic versus auro scriptus habetur:
Sanxerat iste puer haec orbi carmina Nother. (geschrieben steht auf der Miniatur eindeutig Notker).
Et sequitur:
Hunc codicem studio Sigeberti praesulis almo Aspiciat quisquis, rogo, verbis valde benignis: Fili celsi throni, dicat, miserere patranti. Hunc Notherum monachum sancti Galli et coenobitam invenio fuisse.
Daraus geht hervor, dass der ursprüngliche Deckel mit Elfenbeintäfelchen geschmückt war, auf denen die St. Galler Dichter und Musiker Marcellus, Iso, Othere und Notker dargestellt waren (vgl. Nr. 156).
Contents:
Der Inhalt wurde (leider ohne Berücksichtigung des Schmuckes) von Haug und seinen Mitarbeitern 1993 vollständig inventarisiert und textlich nachgewiesen. Da mir eine Autopsie fehlt, beschränke ich mich auf einige Angaben.
  • fol. 1v-74v Tropar
    • (1r) leer
    • (1v-23v) Propriumsstrophen I
      • (1v) Titelseite: Incipiunt tropi in diversis festivitatibus canendi
      • (2r) H(odie cantandus est)
    • (50r-74v) Propriumsstrophen II
      • (50r) >In die resurrectionis Domini< H(odie processit leo fortis)
  • 75r-110v Ordinariumsgesänge
  • 111r-142v Herrscherakklamationen, Litaneien, Versus
    • (111r-112v) Laudes regiae (Bernhard Opfermann, Die liturgischen Herrscherakklamationen im Sacrum Imperium des Mittelalters, Weimar 1953, S. 138-140), hier die Nennung von Papst Johannes XIX. (1024–1033), König Konrad II. (1024–1027; Kaiser 1027–1039), Königin Gisela (1027–1043), Erzbischof Pilgrim von Köln (1021–1036) und Bischof Sigebert von Minden (1022–1036): Sigeperto huius ecclesiae episcopo salus et vita perpetua
    • (115r-117v) Versus
    • (118r-142v) Litaneien (vgl. Wolfenbüttel, Guelf 1008 Helmst. – Nr. 153)
  • 143v-226r Sequenzen
    • (143v) Widmungszierseite:
      Hunc codicem ex studio Sigeberti presulis almo Conscriptum Xpo. laus ut cantetur in isto. Aspiciat quis quis, rogo verbis valde benignis Fili celsi throni. dicat miserere patranti. (MGH Poet.lat. VI, 183, 2; Schaller/Könsgen, Nr. 7356)
    • (144r) Autorenbild des Notker Balbulus (um 840–912) als Dichter der Sequenzen: Goldleistenrahmen mit blauer und ockerfarbiger Rechteckfüllung, Arkade mit der Inschrift: Sanxerat iste puer hec orbi carmina Notker (Schaller/Könsgen, Nr. 14718) in Capitalis mit Gold auf Minium, darin im Dreiviertelprofil sitzend und nimbiert Notker in Tunika und anianischer Kukulle, das Federmesser in der Rechten, prüft die Spitze des Kiels, am Sitz montiert ein Brett mit darin eingesteckten Tintenhörnern (für Tinte und Minium), vor ihm das balusterförmige Schreibpult mit dem aufgeschlagenen Buch, auf dessen Seiten geschrieben steht: «Sancti Spiritus assit nobis gratia» (Pfingstsequenz von fol. 190v),
    • (144v-146v) Prolog zum Liber hymnorum: >Summe sanctitatis merito< (vgl. Sang. 374, p. 313-314 – Nr. 159)
    • (147v-226r) Sequenzen
      • (147v) Schriftzierseite: In nomine Domini nostri Ihu. Xpi. incipit liber ymnorum
      • (148r) Zierseite >dies sanctificatus maior< N(atus) ante saecula
      • (171v) Widmung an Bischof Liutward von Vercelli: Pars Liutwarde prior finitur calle suarto (8 Verse, vgl. Sang. 378 – Nr. 160; MGH Poet. lat. IV, 1091; Schaller/Könsgen, Nr. 11632)
      • (172r) Dominica sancti Paschae frigdola
      • (172v) Zierseite auf Purpurgrund L(AVDES salvatori voce modulemus supplici)
      • (223v) >Dominica die canenda. Metensis minor<
      • (224r-225r) Aurea spes patriae specimen pietatis …–… Urget ad optatas nos superes se preces (von Dümmler und Chroust auf Bischof Sigebert als einstigen Schüler des Klosters St. Gallen gedeutet, vgl. MGH Poet. lat. VI, 184 f.)
      • (225r-226r) Kreuzsequenz Hermanns des Lahmen von Reichenau (1013–1054) Grates, honos!, Jerarchia (Berschin/Hellmann, S. 80–81)
      • (226v) leer
History of the manuscript: Die auf Grund des Inhaltes und des Notker-Bildes bekannte Hs. hat im Hymnar-Antiphonar Guelf. 1008 Helmst. in Wolfenbüttel (Nr. 153) ein Gegenstück. Durch die in den Herrscherakklamationen genannten Personen und deren Daten wird sie in die Jahre 1024–1027 (Konrad II. = König 1024–1027) datierbar. Das Notker-Bild ist in den Proportionen und im Stil unmittelbar der Sigebert-Miniatur aus dem Ordo in Wolfenbüttel, Guelf. 1151 Helmst. (Nr. 155) verwandt. Von besonderer Bedeutung für die Lokalisierung der Einbände der Sigebert-Hss. und ihres teilweise verlorenen Elfenbeinschmuckes dürften die in der Mindener Bischofschronik erwähnten Täfelchen mit den St. Galler Dichtern und Lehrern Marcellus, Iso, Othar (wohl Othere) und Notker sein, deren Würdigung im Bild eine St. Galler Herstellung auch der Einbände der Sigebert-Hss. nahelegt. Das fol. 224r-225r der Kreuzsequenz Hermanns des Lahmen vorausgehende Begrüßungsgedicht «Aurea spes patriae» gehört zusammen mit der Kreuzsequenz zu einem zeitgenössischen Nachtrag, von dem Hoffmann (S. 375) annimmt, er sei offenbar in Minden hinzugefügt worden; Berschin (1991/92, S. 338, Anm. 61) dagegen meint: «Bei der Entscheidung der Frage nach der Entstehung (St. Gallen oder Reichenau?) ist zu berücksichtigen, dass am Ende der Handschrift fol. 225r-226r die Kreuzsequenz ... von gleichzeitiger Hand eingetragen wurde.»
Provenance of the manuscript:
  • Die Hs. kam 1683 in die Bibliothek des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640–1688) nach Berlin
  • und wurde gegen Ende des 2. Weltkrieges nach Schlesien ausgelagert.
Bibliography:
  • Vöge, Mindener Bilderhandschriftengruppe, S. 203-205.
  • Rose, Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Berlin 2, 2, Nr. 694, S. 684-690.
  • Chroust, II. Abt., III. Bd., Liefg. XXII, Taf. 1.
  • Hoffmann, Buchkunst, S. 375 passim.
  • Mayer-Harting, Ottonian Book Illumination 2, S. 91-97.
  • Milde, Die Handschriften des Bischofs Sigebert von Minden, S. 14 f., Lit.
  • Walter Berschin, Griechisches in der Klosterschule des alten St. Gallen, in: Byzantinische Zeitschrift 84/85, 1991/1992, S. 330–340, bes. 338.
  • Tropi carminum, Liber hymnorum Notkeri Balbuli. Berlin, ehem. Preußische Staatsbibliothek, Ms. theol. lat. qu. 11 (z. Zt. Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Depositum). Farbmikrofiche-Edition. Musikhistorische Einführung von Karlheinz Schlager, Einführung zur Textüberlieferung von Andreas Haug (Codices illuminati medii aevi 20), München 1993.
  • Von Euw, Das Autorenbild in Cod. Sang. 371, S. 100 f.
  • Werner Vogler, Kat. Die Kultur der Abtei Sankt Gallen, St. Gallen 1996, Farbtafel S. 30.
  • Berschin, in: Kloster St. Gallen, S. 113 f., Farbabb. 59.
  • Von Euw in: Kloster St. Gallen, S. 198 f.
  • Walter Berschin, Martin Hellmann, Hermann der Lahme. Gelehrter und Dichter (1013–1054), Heidelberg 2004, S. 80–81.
  • Walter Berschin, Eremus und Insula (2005), S. 168, Abb. 15.