St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 543
Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Bd. 2: Abt. III/2: Codices 450-546: Liturgica, Libri Precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 410-413.
Titre du manuscrit: , Vierstimmige Gesänge zu den
Hochfesten des Jahres
Période: 1562-1564
Ancienne Cote:
M. n. 8
f. Ir
Support: Helles, eher dünnes Pergament guter Qualität, allerdings passim leicht durchscheinend, vgl. etwa f. 126 ff.,
233 ff., deshalb vereinzelt Folia nur einseitig beschrieben; f. 97v/98r und 123v/124r
ganz leer gelassen, f. 18v/19r ohne Text, aber rubriziert.
Volume:
I-IV + 292 Folia
Format: 53 x 39,5
Numérotation des pages: Bleistiftfoliierung I-IV, zeitgenössische Foliierung mit roter Tinte f. 1-292 (hinteres Spiegelblatt: 300) von der Hand des Schreibers, springt 164/166, wiederholt 286 an
Stelle von 287.
Composition des cahiers: Das Spiegelblatt und ein jetzt herausgeschnittenes Vorsatzblatt bildeten einen
Binio; Quaternionen, ausser IV[-4]I-IV, vor f.
I ein Blatt mit dem erwähnten Vorsatzblatt parallel herausgeschnitten (ev. mit Titelei), die letzten drei Blätter fehlen,
die zwei ersten parallel herausgeschnitten, das letzte bis auf kleine Reste herausgerissen, III[-2]10-13, nach f. 13 ein Bogen herausgeschnitten, II26-29,
VI30-41, II42-45, VI[-2]46-54, IV[-1]71-77, nach f. 76 ein Blatt herausgeschnitten,
III239-244, IV[ + 1 ?]285-292, f.
290 geklebt, nach f. 291 ein Blatt herausgeschnitten, der Quaternio f. [293-299]
ist ganz herausgeschnitten, das letzte Blatt ist f. 300.
Mise en page:
Einspaltig 44/46,5 x 27/33, passim Notation weit über die Linierung hinausgehend,
vgl. f. 30, 208.
Type d'écritures et copistes:
Der ganze Band in einer epigonalen, nicht mehr stilstrengen, hochgezogenen, textualisnahen Rotunda (Haarstriche, vereinzelt
Bogenverbindung, vgl. f. 42v) von der Hand des Subpriors Heinrich Keller von
Rapperswil (1518-1567, zu ihm s. Cod. 542), Kolophon f.
IIIr: Fr[ater] heinricus keller Con[ven]t[ua]lis S. Galli.
1.5.64.
Notation musicale: Jede Doppelseite viergeteilt mit vier Stimmen: links Diskant und Tenor, rechts Alt und Bass, je drei Text- und drei Notenzeilen pro Stimme, Tenor teilweise in Hufnagelnotation, teilweise in Mensuralnotation, die übrigen Stimmen in Mensuralnotation, jeweils auf fünf Linien, rotschwarze Taktstriche; Rastrierung mit braunschwarzer Tinte, Linierung für Text und Rubriken sowie die Vertikalen rechts und links mit Bleistift und braunem Farbstift, am äusseren Rand passim noch Zirkellöcher sichtbar.
Décoration: Illuminierung durch Caspar Härtli von Lindau;
- f. IVr ganzseitige Miniatur: Allerheiligenbild mit Christus am Kreuz, darüber Gottvater und die Heiliggeist-Taube, oben links Maria mit dem Kind, rechts Engel, zu beiden Seiten des Kreuzes die Heiligen, gegliedert in Propheten, Apostel, Evangelisten, Märtyrer, Bekenner, Märtyrerinnen und Bekennerinnen, zuunterst links der Schreiber Heinrich Keller, kniend, mit seinem Wappen: Lindenblatt, aus Ast spriessend, mit Blattspitze nach oben im Schild, rechts davon der Auftraggeber Abt Diethelm Blarer, kniend, rechts davon sein Wappen (s. Cod. 542), von zwei Putten gehalten (vgl. Schmid, s. u., Abb. 50);
- f. 1r ganzseitige Miniatur: Ambrosius und Augustinus in zwei offenen Säulenbogen, darüber das Vollwappen des Abts Diethelm Blarer mit der Jahrzahl 1562, im umlaufenden Rahmen 28 Schilde mit 27 Wappen (ein überzähliges leer) der Konventualen, des Malers Caspar Härtli und, gemäss Schmid, des Komponisten (ohne Zuweisung an ein Wappen), dasjenige des Schreibers trägt in den blauen Grund eingeritzt die Init. P[ater] H[einrich] K[eller] S[ubprior], vgl. Wappen-Inventar bei Schmid, p. 112, Anm. 93;
- f. 1v zwei einfache Blattgold-Init. T auf königsblauem resp. ziegelrotem Grund mit Golddekor, in Blattgoldrahmen, mit Bord., am linken Rand Gallus mit dem Bären und den üblichen Attributen, unter ihm sein Pseudo-Wappen mit steigendem rotem Löwen auf gelbem Grund, am untern Blattrand rechts zwei Bären mit Kapuzen und einem unbeschriebenen Blatt;
- f. 2r zwei weitere Init. T in derselben Technik, mit Bord., am rechten Rand Otmar mit den üblichen Attributen, unter ihm sein Pseudo- Wappen: im obern Drittel schwarzer Löwe auf gelbem Grund, in den untern zwei Dritteln des Feldes zentraler weisser Balken in einem roten Feld mit sechs gelben Rhomben;
- zahlreiche Marginalien zu den Toni (Modi) in humanistischer Kursive, eine weitere Hand in Humanistica ergänzt Text und Melodien f. 220v-221r. Einfache rote und blaue Lombarden, vereinzelt Cadellen, vgl. f. 114v, rubriziert;
- vereinzelt Federschnörkelwerk am untern Blattrand, vgl. f. 165v[164v]. Wenn zwei gleiche Lombarden (für die verschiedenen Stimmen) auf dem gleichen Folio stehen, ist die zweite systematisch von der ersten abgehoben, durch teilweise spielerisch verfremdete Formen, vgl. etwa die Buchstaben F f. 37r, E f. 44v und passim.
Reliure:
Einband
16./2 Jh., helles Leder auf Holz. Kanten VD und HD in der Mitte abgeschrägt. Auf VD Rechtecks-Komposition in Blindpressung, bestehend aus vier kleineren
Rechtecken mit je einem mit Streicheisenlinien gezogenen Rhombus im Zentrum, Rahmenleisten mit pflanzlichen, teilweise figürlichen
Ornamentstempeln, äusserer Rahmen breite umlaufende Schmuckleisten. Spuren (Nagellöcher) von je fünf Beschlägen auf VD und HD, Reste von zwei Messing-Schliessen HDK-VD, stattdessen heute
zwei helle Lederbänder mit Schnallen HDK-VDK, Spuren von einer weiteren verlorenen Mittelschliesse (Nagellöcher). Band beim Schnitt
des Buchblocks passim an oberer Blatthälfte knapp geschnitten oder Foliierung angeschnitten. Ein heller lederner Zugriemen am Rücken unten; an unterer VDK sechs, an HDK fünf Schutznägel.
Sommaire:
-
1-292v
Antiphonae, Psalmi et Passiones pro festis totius anni, quattuor vocibus]
Zur Textanordnung der vier Stimmen pro Doppelseite s. o.- (Ir-IIIr) [Registrum antiphonarum quorundam festorum.] >Ad vesperas.< Domine ad adiuuandum … fo. 124 …–… Contere domine … fo. 87. , folgt Kolophon (s.o.)
- (IIIv) leer
- (IVr) Kreuzigungsbild mit der Gemeinschaft der Heiligen (s.o.)
- (IVv) leer
- (1r) Stifter-Miniatur, mit Wappen (s.o.).
-
(Vv,
1r-109r)
[Cantica de festis sanctorum Galli, Othmari, Notkeri, cantica selecta aliorum sanctorum et festorum, Passiones
secundum Matthaeum, Marcum et Lucam, Antiphonae variae.]
Inventar bei Bruggisser-Lanker (s. u.), p. 65-69, dort das Inventar und die lat.
Titel gemäss dem Conspectus
f. Ir-IIIr, welcher streng nach der kalendarischen Festfolge angelegt ist, im Gegensatz zur periodisch abweichenden
Folge der Partituren in der Hs., dazu Bruggisser-Lanker, p. 61; demzufolge stehen bei
ihrem Inventar die abweichenden Nummern in eckigen Klammern. Bei den Passiones sind die Redetexte mehrstimmig vertont, zwecks
Finden des Einsatzes sind sie in der Hs. eingeleitet durch « Explicit » der Evangelisten-Sätze, die in
die Rastrierung hineingeschrieben sind. Die Passio bricht f. 79r mitten in der Kreuzesszene ab, unmittelbar gefolgt
von Regina coeli, mit Alleluia. Wie schon von Bruggisser-Lanker, p. 61, festgehalten, ist
der Inhalt nicht immer kohärent zusammengestellt.
Zu beachten bei unserer Aufstellung ist, dass die Hauptrubrik eines neuen Festzyklus stets mit In vigilia beginnt und im Folgenden so zitiert wird, dass aber diese Rubrik natürlich für den ganzen Zyklus steht. Nur bei Gallus sind der Vigil-Teil und der Festtags-Teil zwei getrennte Einheiten. Generell sind die Rubrikangaben minimal, teilweise unvollständig oder fragmentarisch. Auf der Doppelseite f. 18v-19r fehlt der Text unter den Notensystemen.
Nach der Antiphon Veni sancte spiritus ist (97v-98r) leer, anschliessend (98v) Passio secundum Lucam (wieder mit den Evangelisten-Stichworten), bricht (109r) wieder in der Kreuzesszene ab. Es folgen (109v-120r) das Salve Regina, die Hymnen Ave vivens hostia veritas et vita, Rep. Hymn. 2278; AH 31, p. 111; 50, p. 597, (120v-121r) Ave vas clementiae scrinium dulcoris, Rep. Hymn. 2159, mit einzig unserer Hs., (121v) Ecce panis angelorum … , zwei Verse aus der Sequenz Lauda Sion salvatorem, (123v-124r) leer, (124v) Domine ad adiuuandum … , mehrstimmig, aber im Psalmton, anschliessend (126r-139r) die Vesper-Psalmen der Osterzeit, (139v) Vigilia Ascensionis, (156v-174r) Vigilia Pentecostes, (174v-191r) Vigilia Sancte Trinitatis, (191v-211r) Vigilia Corporis Christi, (211v-222r) Vigilia Nativitatis Domini, (222v-235r) Vigilia Epiphaniae, (235v-247r) Vigilia Assumptionis B.M. v., (247v-255r) Vigilia festi Sti. Galli, hier mit Marginalien in kleiner humanistischer Kursive: 6. Toni, (255v-275r) In die Sti. Galli, mit (258v) 7. Toni, (261v) 1ᵐⁱ toni, (275v) Vigilia Sti. Notkeri, mit (281v und 283v) 7. [8.] Toni, samt je einer Notations-Marginalie in Hufnagelnotation, (281v-292v) Vigilia omnium sanctorum, mit (290r) Marginalie Gregorianus cantus incipiatur in d sol re. Die am Schluss spoliierte Hs. (s.o.) endet (292v) … vt memores nostri intercedere dignemini pro nobis ad dominum … // bricht ab.
Bibliographie- Bruggisser-Lanker, Musik und Liturgie (2004), Zitationen der Hs. im Text-Teil s. Cod. 542, Abb. 33-35 (von f. 1r, 1v/2r der Hs.). Zu den Gesängen der Codd. Cod. 542 und Cod. 543 ein Traktat von P. Mauritius Enck in Cod. 443, p. 27-86, vgl. Scherrer, Verzeichniss (1875), p. 144;
- Raymund Schlecht, Manfred Barbarinus Lupus Corregiensis Italus, in: Monatshefte für Musikgeschichte, 1871, p. 12-14;
- Wilhelm Merlan, Oeuvres religieuses du XVIe s., Fasc. 1, in: Karl Nef [Hg.], Oeuvres musicales de compositeurs suisses des XVIe, XVIIe et XVIIIe siècles, Geneve 1927, p. 11 unsere Hs. erw.;
- Marxer, Choralgeschichte (1908), p. 225 unsere Hs. erw.;
- Arnold Geering, Die Vokalmusik in der Schweiz zur Zeit der Reformation, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 6, 1933, unsere Hs. erw. p. 76;
- Ders., Homer Herpol und Manfred Barbarini Lupus, in: Fs. Karl Nef, Zürich 1933, p. 62, Anm. 48;
- Ders., Glareans panegyrische Gedichte in den »Symphonien« des Manfred Barberini Lupus, in: Werner Näf [Hg.], Henricus Glareanus, Helvetiae Descriptio Panegyricum, St. Gallen 1948, unsere Hs. p. 99-102;
- Karl Nef, Schweizerische Passionsmusiken, in: Schweizerisches Jahrbuch für Musikwissenschaft 5, 1931, p.114-116;
- Walter R. Nef, P. Heinrich Keller, ein Organist im Kloster St. Gallen, in: Mitteilungen der schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft 3, 1936, p. 4;
- vgl. auch Cod. 542 (Lit., bes. Bachmann-Gelser).
Origine du manuscrit: Im Auftrag Abt Diethelm Blarers (1530-1564) geschrieben, jedoch Stempel D.B.
nicht vorhanden (s. o. zahlreiche herausgeschnittene Blätter). Der Abt dürfte die Fertigstellung
nicht mehr erlebt haben; nach seinem Tod lagen die Arbeiten still.
Bibliographie:
- Schmid, Buchmalerei (1954), p. 53, 60-65 mit ausführlicher Stilanalyse und Abb. 50, Kurzbeschreibung p. 152, Nr. 58, mit Datierung 1562/1564;
- Bräm, Buchmalerei (1997), p. 348f., p. 178 Farbabb. (von f. IVr der Hs.);
- Ochsenbein/Schmuki, Sankt Galler Heilige (1988), p. 10;
- Schmuki/Ochsenbein/Dora, Cimelia (2000), Nr. 91, mit Abb. von f. IVr der Hs.;
- Josef Holenstein, Zur Forschung über den Buchmaler Niklaus Bertschi von Rorschach, in: ZSA 16, 1956, p. 82 f., 86, Tf. 35, Abb. 13 (von f. 41r der Hs.);
- zu Heinrich Keller Henggeler, Professbuch (1929), p. 248 (Biogr., Schriften), mit unserer Hs.