Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 62
Wetzel René, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, Cologny-Genève 1994, S. 68-76.
Handschriftentitel: Geistliche Gedichte · : Gregorius · : Marienleich · : Roßarzneibuch (Erlauer Sammelhandschrift)
Entstehungsort: Südostdeutscher Raum
Entstehungszeit: 2. H. 14. Jh.
Beschreibstoff:
Papier.
Wz.: 2 übereinanderstehende Kreise auf senkrechter Stange mit Stern, BR. 3216 (Bologna 1355). Jüngerer Vor- u. Nachsatz sowie hinterer Spiegel (Ende 18. Jh.; vorderer Spiegel fehlt). Auf dem Vorsatzbl. die Hälfte eines Wz. sichtbar, 2 sich gegenüberstehende Greife (= Wappentier der Eszterházy), die wahrsch. eine Lilie halten.
Wz.: 2 übereinanderstehende Kreise auf senkrechter Stange mit Stern, BR. 3216 (Bologna 1355). Jüngerer Vor- u. Nachsatz sowie hinterer Spiegel (Ende 18. Jh.; vorderer Spiegel fehlt). Auf dem Vorsatzbl. die Hälfte eines Wz. sichtbar, 2 sich gegenüberstehende Greife (= Wappentier der Eszterházy), die wahrsch. eine Lilie halten.
Umfang:
I + 51 Bll. + I
Format: 211 x 151 mm
Seitennummerierung: Neuere Bleistiftfoliierung 1-51. Unbeschrieben sind das Vorsatzbl. (jüngere Bleistifteinträge), 48v, 51v (Einträge) u. das Nachsatzbl.
Lagenstruktur:
- 8 von ursprünglich wahrsch. 11 Lagen, unvollständig: IV (+ 1)8 + II12 + IV20 + 2 III32 + II36 + IV44 + IV (-1 + 1)II. Das je zusätzl. Bl. der 1. u. 8. Lage: jüngerer Vor- u. Nachsatz (Reste der Gegenstücke am Ende der 1. bzw. zu Beginn der 8. Lage). In der 8. Lage ist das erste Bl. (45) an das zweite (46) angeklebt, das Gegenstück fehlt. Auf je 4 ersten Lagenbll. sind alte LagenNrn. erhalten: v auf 13r (3. Lage), vij auf 27r (5. Lage), viij[us] auf 33r (6. Lage) u. ix[us] auf 37r (7. Lage). Aus den Textlücken zw. den fehlenden Bll. u. Lagen läßt sich die ursprüngliche Komposition nur mit Vorbehalten rekonstruieren, da der Schreiber des Gregorius-Teiles selbst stark kürzend in den Text eingegriffen hat:
- Es sind keine Reste fehlender Bll. zu beobachten, so daß die Lücken zumindest teilweise aus der Vorlage stammen könnten (z. B. für die fehlenden Bll. 4 u. 7 in der 2. Lage, die eindeutig aus 2 Doppelbll. besteht). Andererseits zeigt die lückenhafte Lagenzählung, daß tatsächlich auch Bll. u. ganze Lagen fehlen.
Heutige Lagen-Nr. | Urspr. Lagen-Nr. (Anmerkung: Erhaltene Lagennummern unterstrichen.) | Befund |
1 | I | Vollständiger Quaternio. |
2 | II | Es fehlen die Bll. 1, 4, 7 u. 8 (Textlücken Gregorius V. 185-231 = 47 Verse zw. Bl. 8/9; V. 329-383 = 55 Verse zw. Bl. 10/11; V. 480-579 ≙ 100 Verse nach Bl. 12) eines ursprünglichen Quaternios, oder aber nur die Bll. 1 u. 6 eines Ternios: Es sind 2 Doppelbll. vorhanden. In diesem Fall hätten 2 Bll. (4 u. 7) bereits in der Vorlage gefehlt oder wären vom Schreiber ausgelassen worden. |
- | III + IV | Es fehlen 2 Quaternionen (ca. 16 Bll., vgl. Textlücke Gregorius V. 580 [ca.]-1417 ≙ 838 Verse nach Bl. 12) |
3 | V | Vollständiger Quaternio. |
4 | VI | Es fehlen die Bll. 1 u. 8 (= 1 Doppelbl.; vgl. Textlücke Gregorius V. 1887-1945 = 59 Verse zw. Bl. 20/21; V. 2333-2383 = 51 Verse zw. Bl. 26/27) des ursprünglichen Quaternios. |
5 | VII | Vollständiger Ternio (kein Textverlust). |
6 | VIII | Es fehlen die Bll. 3 u. 4 (Textlücke Gregorius V. 2849-2988 = 140 Verse zw. Bl. 34/35, dazu Auslassung des Schreibers von 30-40 Versen) des ursprünglichen Ternios. |
7 | IX | Vollständiger Quaternio |
- | X | Es fehlt ein Ternio oder Quaternio (Textlücke Gregorius V. 3910-4006 [= Schluß] = 97 Verse nach Bl. 44 u. Marienleich Str. 1-13,43 nach Bl. 44). Angesichts der massiven Kürzungen durch den Schreiber des Gregorius-Teiles gerade gegen Ende des Textes ist wohl eher von einem Ternio auszugehen (1 Bl. Gregorius, 5 Bll. Marienleich). |
8 | XI | Es fehlt das letzte Bl. (viell. unbeschrieben) des ursprünglichen Quaternios. |
Zustand: Einband fleckig. Papier brüchig u. fleckig, die Ränder abgegriffen.
Seiteneinrichtung:
Schrift und Hände: 3 Hände
Buchschmuck:
Einband:
Heller Schweinsledereinband vom Ende des 18. Jhs. auf Pappdeckeln. Mehrfach doppelte Streicheisenlinien für rechteckige Feldbegrenzungen, Zwischenräume u. Ecken mit versch. Rollen- u. Plattenstempeln (Pflanzenmotive) gefüllt. Die Art des Einbandes ist typisch für den ältesten Bestand der erzbischöfl. Bibliothek von Erlau/Eger. 5 einfache erhabene Bünde. Kapitale alternierend mit blauem u. weißem Seidenfaden umnäht. Im obersten Feld des Buchrückens Papierrest eines Signaturschildes, darunter ein bräunliches Schildchen mit Goldprägung: poemata / moralia. Darunter ein blau gefärbtes Schildchen mit Goldprägung: cod.ms / sec.incer. Im untersten Feld ein weiterer Papierrest eines Signaturschildchens. 2 Signaturschilder von gebräuntem linierten Papier auf dem Vorderdeckel, mit Tinteneintrag 2 / 2 bzw. U²
/ III 2 derselben Hand. Andere Signaturen der erzbischöfl. Bibliothek finden sich auf dem Vorsatzbl. in Bleistift: 5496 - 1 u. Aa Ixx 39 sowie auf Bl. 51v: Nro 15.0. (Reste derselben Signatur, radiert, 1r). Auf dem Spiegel des Hinterdeckels Bibliothekseinträge der Bodmeriana, dazu mit Bleistift: Poemata moralia / Hartmann v. d. Aue / 1318. Im Vorderdeckel Bleistiftvermerke zur Hs. u. ihrem Inhalt. Blaues Seidenband als Buchzeichen.
Hauptsprache: Mundart: mittel- oder südbair.
Inhaltsangabe:
- 1.
1r-7v
Geistliche Gedichte
- a.
(1r-3r)
Der Seele Kranz (Himmelsstraße 2).
Geistliche Allegorie in 116 Reimpaarversen.
Swer sich da hin wil lazzen
auf die himel strazzen,
der vindet pei dem wege stan
vil edel pluͤmen wol getan …
… Dez pit ich dich got vater guͤt,
jn deiner huͤt hab mich behuͤt,
vertreibe von mir dez teufels samen
und bis pey mir got vater, amen.Textgeschichte: Bis heute mind. 16 Hss. (wovon 5 derzeit verschollen) u. 1 Druck dieses anonymen Textes bekannt. Es gibt keine Untersuchung zur gesamten Überlieferung. Unsere Hs. (= C¹ nach Fechter) überliefert das Kernstück eines längeren Gedichtes bzw. das mittlere von 3 viell. voneinander unabhängigen Stücken (wohl desselben Autors), wie das auch einige der anderen Textzeugen tun. Wegstein beschreibt im ²VL 4 diesen speziellen Text als Himmelsstraße II. Es handelt sich im wesentlichen um die Verse 137-268 nach der Ausg. von G. Milchsack. Die recht eigenständige Textgestalt in unserem Cod. läßt an eine Redaktion des ursprünglichen Gedichtes denken. Es fehlen im einzelnen die Verse (nach Milchsack) 1-136, 147-150, 169-172, 207-218, 248-250, 255-258, 269-Schluß. Stark um- oder gar neu gedichtet sind die Verse 145f., 151-154 (dabei 153/54 vertauscht), 177, 190, 205f., 235-238, 259-262. Je einen zusätzl. Vers nach 179, 180, 254, zwei weitere nach 262 eingefügt. Nach 268 sind 6 originale Schlußverse angehängt. Die Verse 251f. nach dem zusätzl. Vers nach 254.- Hg. Gustav Milchsack, Der Sêle Cranz. In: PBB 5 (1878), S. 548-569 [Abdruck mit Textvarianten A, B, C]
- Alois Bernt, Altdeutsche Findlinge aus Böhmen. Mit einer kultur- und sprachgeschichtlichen Einleitung. Brünn, München, Wien 1943, S. 86-99, hier S. 91-95 [= Milchsack V. 137ff. Abdruck der Hs. von Bernt, Lesarten aus A u. P (= Milchsack B)]
- Anfang u. Schluß unserer Hs. abgedruckt von Karl Bartsch, Beiträge zur Quellenkunde der altdeutschen Literatur. Straßburg 1886, S. 246-261, hier S. 247f.
- Zur Überlieferung vgl. Milchsack, S. 563-569
- Bernt, S. 97-99; Eduard Hartl, Artikel „Seelenkranz”. In: ¹VL 4, Sp. 141-146
- Dietrich Schmidtke, Studien zur dingallegorischen Erbauungsliteratur des Spätmittelalters. Am Beispiel der Gartenallegorie. Tübingen 1982, S. 106-108 [Prager Hs. P₂]
- Werner Wegstein, Artikel „Die Himmelsstraße” II. In: ²VL 4, Sp. 35
- Werner Fechter, Artikel „Der Seele Kranz”. In: ²VL 8, Sp. 1017-1022.
- Vgl. auch Cod. Bodmer 72, Nr. 10 (= C²).
- b.
(3v-5r)
Psalm (Vulgata) 50.
90 Reimpaarverse
Herre got erparme dich
nach deiner parmuͤng uͤber mich,
nach deiner parmuͤnge rat
vertilge meine missetat …
… Meinen troͤst mir sende,
daz mein sel da hin gevar
da du woͤnest mit freuden gar.- Eine verwandte Fassung gedruckt nach der Wiener Hs. Cod. Vindob. 2745, 149r-152v, von Heinrich Hoffmann in den Altdeutschen Blättern von Moriz Haupt und H. H. 1 (1836), S. 376-378
- u. von Karl Goedeke, Deutsche Dichtung im Mittelalter. Hannover 1854, S. 231f.
- nach mehreren Handschriften von Philipp Wackernagel, WKL II, Nr. 45, S. 44-46.
- c.
(5r-7r)
Mariengruß
Glossenlied mit lat. Lemmata. 72 Verse (Reimschema aaaa bbbb usw. u. 8 Reimpaarverse am Schluß).
Auf daz Ave Maria ein edel gruͤzz.
Ave, der gruͤzz dir choͤm vo[n] got,
(5v) den sage dir Gabriel der bot.
Des gruͤzes fruͤcht ist von dem prot,
daz uns erlost von dem toͤt …
(6v) gesegent ob allen frawen.
Hilfe uns, daz wir Iesum beschawen.
(7r) Bitte deinez leibs gesegetsͤ chint,
daz er bechere die in suͤnden sint.Textgeschichte: Verwandte Fassung abgedruckt von Mone (s. u.). Unsere Hs. schiebt zw. Mones 2. u. 3. Strophe eine weitere Strophe ein (Lemma Gratia), ebenso nach V. 55 (Lemma Amen). Andere Schlußverse. Mones letzte Strophe mit völlig anderem Text. Viele kleinere u. größere Abweichungen. Im allg. scheint unsere Hs. den Text besser überliefert zu haben.- Franz J. Mone, Lateinische Hymnen des Mittelalters, aus Handschriften herausgegeben und erklärt. Bd. 2. Marienlieder. Freiburg i. Br. 1854, hier S. 91f.
- Ein weiterer Textzeuge (Cgm 5249, Nr. 59d) erwähnt bei Peter Appelhans, Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Mariendichtung. Die rhythmischen mittelhochdeutschen Mariengrüße. Heidelberg 1970, S. 52 (Nr. 31)
- Burghart Wachinger, Artikel „Mariengrüße”. In: ²VL 6, Sp. 1-7.
- d.
(7r-7v)
Bittgebet
42 Reimpaarverse. Integraler Abdruck
Got vater herre Ihesu Christ,
wann du ie werde und immer pist
ein mechtig chuͤnig der ewichait,
lob und ere sei dir gesait
von allen den suͤnden mein,
die du mir von den genaden dein
hast beschaffen und gegeben.
Nu hilf mir auch, daz ich mein leben
mit meinen sıͤnnen so zierͤn muͤge,
daz ich mit dienst dir so gehuͤge,
daz hie mein leib also gevar,
daz ich von suͤnden werde so bar,
daz du an meinem ende seist pei mir
un[d] mein sele nemest zuͤ dir
und die hin fuͤr vil gewalticleich
jn deines lieben vater reich.
Auch pit ich dich vil starcher got
durch deinen heiligen toͤt
und durch alle die marter dein,
die du erlitten hast herre mein
und durch die swere un[d] lait,
(7v) daz unser frawen sel durch snait,
du si dich sach hangen
und dein leben waz ergangen:
So ruͤch allen den genedig sein,
die dir dienent herre mein,
und erparm dich got viel guͤter
uber vat[er] und uͤber muͤter
und uber alle die freunt mein,
den ich gebetes muͤzz schuͤldig sein,
die lebendig sein oder toͤt,
den hilfe herre von aller not
und von allen sweren da pei,
dewͤ in an ligend sey.
Mer in mit in der himel schar,
daz alle ir sel da hin gevar
in deines vater himelreich,
da du innͤ woͤnest immer ewicleich,
ewicleichen und schoͤne,
zer zesem auf auf ein troͤne.
Nu hilf uns herre zuͤ dem gewin,
da wir alle dar chomen hin, amen.Textgeschichte: Peter Ochsenbein, St. Gallen, hält in einer brieflichen Beurteilung unikale Überlieferung dieses Gebetes für wahrscheinlich.
- a.
(1r-3r)
Der Seele Kranz (Himmelsstraße 2).
Geistliche Allegorie in 116 Reimpaarversen.
- 2.
7v-44v
Gregorius
>Dicz puͤch ist von dem lieben sant Gregorio, den got mit freuden zu im zoͤh. /
<
(8r) Mein herczze hat betwͤ[u]ngen
und dicke meine zuͤngen,
daz si des vil gesproͤchen hat,
daz nach der werlt loͤne stat …
Mir moͤcht zuͤ disem leibe
chain selde mer geschehen,
und ob ich in scholde sehen.
Er sprach: Frowͤ so gehabt euch wol [V. 3909]
Textgeschichte: 11 Hss. u. Fragmente des Gregorius vom 13.-15. Jh. überliefert. Nach Zwierzinas Stammbaum gehört unsere Hs. (G) zum Ast II. G überliefert zusammen mit J und K als einzige Textzeugen den Prolog. Der Cod. galt lange Zeit (bis 1977, s. o. Milde) als verschollen. Der Text ist aus zwei Gründen lückenhaft: Fehlende Bll. u. Lagen (z. T. bereits in der Vorlage?) hinterlassen eine Lücke von 1387 Versen, und dem Schreiber anzulastende Kürzungen kosten weitere 758 Verse. Es bleiben somit (zusätzl. Verse eingerechnet) nur noch rund 1870 von 4006 Versen übrig. Es fehlen im einzelnen (Verse nach der kleinen krit. Ausg. von Paul): 17-20, 37f., 43-82, 87-176, 185-231, (Bl.-Verlust), 251f., 311-315, 329-383 (Bl.verlust), 420, 442, 480-1417 (Bll.- u. Lagenverlust), 1483-86, 1525-28, 1575-78, 1591f., 1599-1612, 1617-20, 1667-74, 1677f., 1687f., 1693-1731, 1817f., 1887-1945 (Bl.verlust), 1959-62, 1968, 1975-98, 2021f., 2027-48, 2063-66, 2077f., 2091f., 2127f., 2175-84, 2196, 2215-24, 2227, 2263-76, 2311f., 2333-83 (Bl.verlust), 2395-2404, 2415f., 2421-24, 2431-47, 2451-56, 2537f., 2579, 2622, 2635-64, 2721-26, 2849-2988 (Bll.verlust), 3015-18, 3033-42, 3063f., 3073-76, 3085f., 3099f., 3107-10, 3135-42, 3151-72, 3187-3208, 3215-18, 3229-34, 3237f., 3249-60, 3267-74, 3291f., 3301-04, 3311f., 3321-25, 3328, 3331-36, 3355-62, 3367-70, 3373f., 3379-3402, 3405f., 3415f., 3423-52, 3457-82, 3493-98, 3501f., 3511-40, 3548-61, 3563-72, 3575f., 3583-3614, 3631-38, 3643-46, 3651-60, 3667-3704, 3713-24, 3727-29, 3737-40, 3747-51, 3765f., 3777f., 3781f., 3789-94, 3799-3808, 3825-30, 3867f., 3910-4006 (Schluß; Lagenverlust). 2478f. sind zu einem Vers zusammengezogen, dafür nach 2481 ein zusätzl. Vers. Ebenfalls zusammengezogen sind die Verse 2580f., 2665f. u. 3730f. Zusätzl. Verse nach 316 (317 mit nu ergänzt, dann ein zusätzl. Vers, darauf noch einmal 317 ohne nu), 1732 (1 V.), 3210 (2 V.), vor 3705 (3 V.) u. nach 3752 (1 V.). Umgestellt sind 249/50, 1533/34, 2049/50, 3499/3500, 3725/26, 3851/52. V. 41 zw. 39/40, 2147 zw. 2145/46. Umgedichtet oder stark verstümmelt die Verse 1522, 2129, 2580f., 2841f., 3574, 3661, 3725, 3735f., (3887-) 3888, 3897-99. Die zusätzl. Verse nach 1732 u. 3752 wurden offenbar eingefügt, weil wegen der Kürzungen jeweils ein Vers eines Verspaares stehen geblieben war u. der Ergänzung bedurfte, was wiederum die Frage nach der Beteiligung der Vorlage von G an den Kürzungen aufwirft. Zu den Abschnittsgrenzen vgl. Linke, 1968 (s. u.), S. 30-32 u. Tab. 1, S. I-VIII. - Abdruck von G durch Pfeiffer, Quellenmaterial, S. 176-202
- Prolog-Text von G nach Pfeiffer auch bei Norbert Heinze (Hg.), Hartmann von Aue, Gregorius. Die Überlieferung des Prologs, die Vaticana-Handschrift A und eine Auswahl der übrigen Textzeugen. In Abb. hg. u. erläutert (Litterae 28). Göppingen 1974, S. 20.
- Hermann Paul (Hg.), Gregorius von Hartmann von Aue. Halle 1873, ab 1876 ausgeliefert mit einem Nachtrag. [= Große kritische Ausgabe]
- Ders. (Hg.), Gregorius von Hartmann von Aue. 13., neu bearb. Aufl. v. Burghart Wachinger (ATB 2). Tübingen 1984. 14., durchgesehene Aufl. 1992 [= kleine kritische Ausgabe].
- Pfeiffer, S. 176-184
- Paul, Große krit. Ausg., S. I-XI
- Konrad Zwierzina, Überlieferung und Kritik von Hartmanns Gregorius. In: ZfdA 37 (1893), S. 129-217
- Hansjürgen Linke, Gegenwärtiger Bestand an Handschriften der Erzählungen Hartmanns von Aue. In: PBB 86 (1964), S. 322-337 [G als verschollen]
- Wolfgang Dittmann, Hartmanns Gregorius. Untersuchungen zur Überlieferung, zum Aufbau und Gehalt (Philologische Studien u. Quellen 32). Berlin 1966
- Hansjürgen Linke, Epische Strukturen in der Dichtung Hartmanns von Aue. Untersuchungen zur Formkritik, Werkstruktur und Vortragsgliederung. München 1968, hier S. 30-49 u. Tab. 1, I-VIII
- Klein, speziell S. 156-160.
- 3.
45r-48r
Marienleich
[I,13,38]
mein vater un[d] mein vridel, der vil alte,
den ich in mir nach seiner lust zuͤ drein p[er]sonen valte …
… dez troͤstes brosim man haylsam ab euch streichen muͤz,
suͤst w[er]det ir dez himels margarteten [ t (1) zu r korr.?]
Etwa ⅖ des Textes (Stackmann/Bertau I,1,1-I,13,37) fehlen wegen Lagenverlusts. Am Ende einzelner Str. finden sich Solmisationssilben: I,13,40 Effaut; I,14,28 Effaut;I,15,30 Gesolreut; I,17,30 Ceffaut; I,18,18 Alamire; I,19,34 Desolre (vgl. I, S. 227f.). Der Schluß (ab I,20,28) von anderer Hand nachgetragen, ebenso die Verse I,18,14-15 u. etliche (meist richtige) Korrekturen. Der Marienleich wird von 8 Hss. u. 5 Fragmenten ganz (in 6 Hss.) oder teilweise überliefert (6 mit Melodie). Unsere Hs. (r) wurde für die textkrit. Ausg. von Stackmann/Bertau voll berücksichtigt. Nach G. Kornrumpf (s. u.) ist r viell. mit dem verschollenen Bruchstück v (Denis' Handschrift) in Verbindung zu bringen.- Hg. Karl Stackmann u. Karl Bertau, Frauenlob (Heinrich von Meissen), Leichs, Sangsprüche, Lieder. Auf Grund der Vorarbeiten von Helmuth Thomas hg. 2 Bde. (Abhandlungen d. Akad. d. Wiss. in Göttingen, Philol.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 119-120). Göttingen 1981.
- Vgl. Gisela Kornrumpf, Konturen der Frauenlob-Überlieferung. In: Wolfram-Studien X. Cambridger 'Frauenlob'-Kolloquium 1986. Hg. v. Werner Schröder. Berlin 1988, S. 26-50, speziell S. 31f.
- Christoph März, Frauenlobs Marienleich. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Monodie (Erlanger Studien 69). Erlangen 1987, hier S. 34f.
- 4.
49r-51r
Roßarzneibuch
Swer ros ercz[e]n welle lern, d[er] lese disen prief. Den hat uns gemachet maist[er] Albrant, chayser Fridreich smit und marstaller von Napels … ℂ Swelich ros ein sichez hawp hat od[er] daz zestozz[e]n sey oder suͤnst von gesuͤcht chranch sey, …–… und wirf dar nach grünspat dar auf, so w[er]dent die wu[n]d[e]n frisch und rain.- (51r) Gleich daran anschließend u. von selber Hand folgen die lat. Signa bonorum equorum und eine Reitersegensformel: Signa bonor[um] equor[um]. Aures acute b[re]ves, caput exiguu[m], caro dura, et g[ra]ndes oc[u]li, calx spissa caudaq[ue] grossa. Cu[m] asc[e]ndis equu[m] cu[m] signo c[ru]c[is], dic in fronte equi istu[m] v[er]sum: Ho[m]ines [et] ium[en]ta satu[r]ab[is] (?) d[omi]ne, q[uem]admodu[m] m[u]ltiplicasti mi[sericordi]a[m] tua[m] d[omi]ne. Et scias h[oc], si q[uoque] fecer[is], illo die no[n] p[er]iclitaber[is] D[omi]nus meus [et] deus meus, amen.
Textgeschichte:- Nach P. Rainer Rudolf, ²VL 1, Sp. 157f. sind 218 Hss. des Roßarzneibuchs bekannt. G. Eis, 1960 (s. u.), führt S. 7 unsere Hs. irrtümlich unter den Nummern 44 u. 45 mit unterschiedlichen Signaturen u. Titeln als 2 versch. Textzeugen auf. Vom Kernbestand der 36 Heilanweisungen überliefert unser Text deren 33 u. fügt 2 weitere hinzu. Der Text stimmt teils ausgezeichnet mit der ältesten Überlieferung, ist teils aber bereits in verderbtem Zustand. Im Vergleich zum Text von Eis, 1960, überliefert der Cod. Bodmer 62 in dieser Reihenfolge die Nrn. 1-18, 20 (stark abgeändert), 19, 21-22, 24, 23, 1. zusätzl. Stück, 25 (stark abgeändert), 26-28, 34, 29, 35, 2. zusätzl. Stück, 36, 33. Es fehlen 30-32. Das erste zusätzl. Stück (Swelich ross chrecich ist…) entspricht, unter anderem Titel, der Nr. 23 der Schlägler Fassung (vgl. Eis, 1939 [s. u.], S. 132) und der Nr. 22 der Regensburger Hs. (vgl. Werlin [s. u.], S. 175). Für das 2. Zusatzstück (Swelich ros daz augstaͤl hab…) haben wir keine Entsprechung gefunden (andere Rezepte betr. den Augstal vgl. Eis, 1939, S. 115; Simmet, S. 74 [Nr. 65] u. S. 65 [Nr. 10]).
- Die „Signa bonorum equorum“ auch im Augsburger Cod. III.1.2° 43,17, vgl. Schneider, Augsburg, S. 237f. (= Nr. 52 in der Liste von Eis, 1960), u. in vielen Drucken des 15. u. 16. Jhs. dem eigentlichen Albranttext vorangestellt. Die einzelnen Elemente sind z. T. direkt der „Marescalcia“ des Laurentius Rusius (14. Jh.) entliehen (Kap. IV, „De pulchritudine equorum“, vgl. Luigi Barbieri (Hg.), La Mascalcìa di Lorenzo Rusio. Bd. 1. Bologna 1867, S. 8ff.).
- Hg. Richard Schmutzer, Die Schrift des Meisters Albrecht über Pferdekrankheiten. Nach der Handschrift Nr. 82 der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek zu Donaueschingen. In: Quellen und Studien zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Medizin 4 (1935), S. 11-36
- Gerhard Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch im deutschen Osten. Reichenberg 1939. Neuaufl. mit einem Nachwort v. G. E., Hildesheim, New York 1977
- Vgl. Ludwig Simmet, Veit Hündlers Roßarzneibuch. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Pferdeheilkunde des 15. Jahrhunderts in Südosteuropa. Diss. München 1955
- Gerhard Eis, Meister Albrants Roßarzneibuch. Verzeichnis der Handschriften, Text der ältesten Fassung, Literaturverzeichnis. Konstanz 1960
- Josef Werlin, Eine Regensburger Überlieferung von Meister Albrants Roßarzneibuch. In: Ostbairische Grenzmarken 6 (1962/63), S. 170-177.
Ausgaben:
Zur Überlieferung vgl.
Entstehung der Handschrift:
51v unter einer Federprobe die Widmung (oder auch nur simple Federprobe), Ende 14. oder 1. V. 15. Jh.: Meinem liebenn gesellenn h[er]n Jakoben d[er] schilbaͤczlinn sun (nicht identifiziert).
Provenienz der Handschrift:
- Faßbar wird für uns die Geschichte des Bds. erst im 18. Jh.: Der Cod. gehörte zum ältesten Bestand der erzbischöfl. Diözesanbibliothek von Erlau/Eger (Eger, Erzbischöfliche Diözesanbibliothek, Cod. Aa I, 39 in scrinio. 8°) u. wurde zusammen mit einem schönen Teil der übrigen dt. Hss. dieses Bestandes (vgl. Cod. Bodmer 170!) vom Begründer der Bibliothek, Bischof Károly Eszterházy (Amtszeit 1762-1799) 1783 in Wien aus der Sammlung Fürst Auersperg erworben (geliefert 1784, Bibliothek 1793 eröffnet). Die Auktion ist viell. mit dem Tod von Heinrich Joseph Johann Fürst von Auersperg (1696-1783; vgl. NDB 1, S. 438 [Vater von 7]) u. F. X. Richter, Die Fürsten und Grafen von Auersperg. In: Neues Archiv für Geschichte, Staatenkunde, Literatur und Kunst 2 [21 als Fortsetzung] (1830), S. 729f.) in Verbindung zu bringen.
- Nach dem 2. Weltkrieg gelangte die Hs. unter mysteriösen Umständen in den Besitz des Antiquariats Joszef Farago, Vaduz. Martin Bodmer erwarb den Cod. von Farago im Dezember 1949. Zu den Signaturen der Erzdiözesanbibliothek s. o. Albert (1856, s. u.) u. Pfeiffer (1867, s. u.) nennen 5496 als die zu ihrer Zeit aktuelle Signatur, bei Singer (1887, s. u.) war man zur Sigle Aa I, 39, in Scrinio. 8° übergegangen. U² III 2 könnte die letzte gültige Signatur dargestellt haben.
Bibliographie:
- [Franz Albert von Monte-Dego], Eine deutsche Handschrift der erzbischöflichen Diözesan-Bibliothek zu Erlau in Ungarn. In: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, N. F. 4 (1856), Sp. 100f. u. 136-138 (Von der Redaktion hergestellter Auszug aus Alberts handschriftlichem Katalog)
- Pfeiffer, Quellenmaterial, S. 176-205; Singer, S. 485-487; Travnik, S. 26-35 (Erlau), speziell S. 32
- Vizkelety II, S. 129-158 (Eger), speziell S. 130
- Milde, S. 99-101
- Stackmann/Bertau I (s. u.), S. 92-96.