Solothurn, Domschatz der St.-Ursen-Kathedrale, Cod. U 3
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Schönherr Alfons, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn, 1964, S. 225-227.

Handschriftentitel: Missale plenum
Entstehungszeit: 15. Jahrh. (um 1438-1439)
Alternative Bezeichnung: Spiegelberg-Missale
Beschreibstoff: Perg.
Umfang: 274 Bl. 2 (+ V).
Format: 38,5 x 27 cm.
Seitennummerierung: Rote römische Originalfoliierung: (1r) I ~ (18r) XVIII; (192r) I ~ (261r) LXX; dann später ergänzte Tintenfoliierung: (19r) XIX ~ (97r) Lxxxxvij und (110v) I ~ (192r) Lxxiij. Die Hs. wurde bei der Katalogisierung einheitlich durchfoliiert. Die Blattfolge im Kanon bei der Buchrestaurierung falsch gereiht.
Lagenstruktur: Lagen (zumeist Sexternen) mit Reklamanten; Kustoden (römische und arabische Zahlzeichen) teilweise erhalten.
Schrift und Hände: Kräftige gotische Missalschrift (littera textualis formata) aus mehreren (mindestens vier) Händen, deren eine (Hand 2) scheinbar auch schon an der 14-25 in Angriff genommenen Erstellung der neuen Chorantiphonarien für das St. Ursenmünster, siehe: Urkundio. Beiträge zur vaterländischen Geschichtforschung […] hg. vom geschichtforschenden Verein des Kantons Solothurn. I. Bd. Solothurn 1857, 1,328) beteiligt war. Stellenweise sehr flüchtige Orthographie. Für den Meßkanon (104r-110r) große littera psalterialis; für die Gesangstexte kleinere Textur.
Buchschmuck:
  • Überschriften und Rubriken rot;
  • einfache rote Unzialmajuskeln;
  • sämtliche Satzanfänge rot gestrichelt.
  • (1r) festlich illuminierte Anfangsseite:
    • dreiteilige Randleiste mit Hahnenfußranke und Spiralen mit Goldpollen.
    • Große Goldinitialen mit Zierleisten und Rankenwerk:
    • (1r) Hauptinitiale A in Blattgold vor violetter mit Blattwerk gefüllter Folie;
    • (ebd.) (1r) Initiale I (zum Evangelium des I. Adventsonntags) in Gold;
    • (11v) (104r) und (110v) .
  • Zu den Hauptabschnitten große Filigraninitialen in Rot/Blau.
  • (103v) Große Kanonminiatur (19,5/17,5 cm) in farbiger, mit Rosetten besetzter Umrahmung: Christus am Kreuz zwischen Maria in hellblauem Kleid und weißem Mantel, und Johannes, barfuß, in grünem Kleid mit hellrotem Umhang; das braun gemaserte Kreuz auf grün bewachsenem Boden vor kobaltblauem Himmel mit Kreuzblumenmuster; große Goldnimben; an den linken Bildrahmen angelehnte Stabranke mit buntem Rankenwerk, Blüten und Goldpollen. In Anlage und Stil wohl von einem Basler Buchschmuckatelier inspiriert und gut mit Basler Arbeiten der gleichen Zeit vergleichbar;
  • (ebd.) (103v) am Unterrand Crucifixus in schwarzer, gelb angetönter Federzeichnung; zeitgenössisch.
    Wappenmalereien:
  • (1r) in der Fußleiste zwischen den bunten Ranken Allianz Spiegelberg-Spins;
  • (99v) , ursprünglich als Frontispizblatt eingesetzt, bei der Restaurierung der Hs. an diese Stelle versetzt): zwei große halbrunde Schilde mit den Wappen Spiegelberg (in Gold über rotem Sechsberg ein silberner, schwarz-violett gerahmter Rundspiegel) und Spins (in Silber eine schwarze nach links geneigte Speerfahne an roter Stange) in Aquarellmalerei;
  • (274r) wie oben f. 99v.
Spätere Ergänzungen: Verschiedene Ergänzungen und spätere Nachträge:
  • a) (99r) aus der Zeit um 1475/80 Sequitur [missa] de revelatione s. Ursi (später wieder getilgt);
  • b) (103r) Schlußgebet des ordo missae Suscipe saneta Trinitas (von Hand saec. XV ex.);
  • c) (110r) die eucharistischen Sumptionsformeln (ebenfalls von Hand saec. XV ex.);
  • d) (264v) Officium [missae] de visitacione marie;
  • e) (272v-273r) Olficium [missae] visitacionis nostre domine. Gaudeamus mit der Prosa Veni precelsa domina (RH 21231);
  • f) (273r-273v) Missa de s. Apollonia virg. et mart.; Missa de ss. XIV Adjutoribus und Incipit officium [missae votivae pro feria 4 seu] de passione Domini. Humiliavit seipsum.
Einband: Der ursprüngliche, braune Rindlederband jetzt (seit 1946/47) durch dunklen, glatten Schaflederband ersetzt. Die ledernen Wendesignakel für den Meßkanon wurden bei der Restaurierung der Hs. entfernt. Vgl. die kurze Beschreibung bei Fr. Fiala, Analecta historica 9 (Martyrologien und Kalendarien des Mittelalters): ZBS, S 141/9, f. 259v-260r.
Inhaltsangabe:
Das sogenannte Spiegelberg-Missale. Aus zwei verschiedenen Typen - einem gregorianischen und einem gelasianischen, deren Vorlagen ihrerseits teils auf einen sanktgallischen, teils auf einen rheinfränkischen Archetypus zurückführen - ausstilisiertes Vollmeßbuch, das zum Gebrauch am St. Georgs-Altar im St. Ursenmünster bestimmt war.
  • (IIIr-IIIv) Vorangestellt: Dotationsbericht über die Spiegelberg-Stiftung (vgl. Staatsarchiv Solothurn, St. Ursenstift: Urkunde 1438 Juni 27) mit Auszug aus dem Indulgenzbrief (a. a. O.: Urkunde 1439 März 25) für den St. Georgs-Altar im St. Ursen-Münster zu Solothurn: Universis et singulis presentibus innotescat, quod dominus Hemmannus de Spiegelberg armiger, scultetus Solodorensis, nobilisque domina Margareta de Spinß legittima predicti domini Hemmanni, sana conscientia et matura deliberatione ad laudem dei honoremque gloriosissime eius genitricis Marie et in remedium animarum suarum ac omnium ipsorum pie recordationis (cod. / recordatione) predecessorum, construxerunt unam capellam eum altari in ecclesia sancti Vrsi Solodrensis prope altare in quo reliquie sancti Vrsi sociorumque eius sunt recondite, quod et altare sancti ursi appellatur, dotaveruntque Item prenominati (institores/gleichzeitig getilgt) fundatores ad altare predictum certa tribuerunt paramenta : Primo unum missale novum (d. i. der vorliegende Codex) ecclesie sancti ursi prenominate
  • 1r-192v Proprium de Tempore:
    • 1 (Bl 1r-96v) >Dorninica prima in adventu domini. < Ad te levavi …–… pietate concordes. Per (= Schluß der Messe am Karsamstag). Folgt:
      • a) (96v-98r) >Incipiunt prefaciones per circulum anni<
      • b) (98r-103v) Gloria (von späterer Hand marianisch tropiert); Credo; Prefacio cottidiana mit Sanctus ( Benedictus Marie filius, qui … );
      • c) (100r-102v) ursprünglich an der Spitze der Hs. (als Bl. 1-4), bei der Restaurierung der Hs. (1946/47) an dieser Stelle eingesetzt. Kalendarium plenum. Mischredaktion mit nur gering betontem Lokalcharakter;
      • d) (104r-110r) [Canon missae] mit zahlreichen Rubriken aus späterer Hand. Zu beachten die Pax-Formel: Habete vinculum pacis et caritatis, ut apti sitis sacrosanctis mysterijs (add. post./Christi). Pax Christifirmetur in cordibus vestris.
    • 2 (110v-192v) In die sancto pasche …–… Dominica XXV [post octavam Pentecosten].
  • (192v-239v) Hic incipiunt officia de sanctis per circulum anni. In natale s. Lucie (13. Dezember) …–… In die [s. Thomae ap. (20. Dezember)].
  • (240r-254r) >Incipit commune sanctorum.< In vigilia unius apostoli …–… In natale virginum.
    • Daran: (254r-255v) In anniversario dedicationis ecclesie und In dedicatione altaris.
  • (255v-262v) [Missae speciales] am Schluß (262v-264r) >Missae pro defunctis< Zu beachten: (259r) [Missa votiva pro feria 2]. Missa ss. Martyrum Ursi cum sociis suis.
  • (265r-272v) [Sequentiae] Auswahl von 45 Sequenzen für das Herren- und Heiligenjahr.
    • Darunter (267v) De s. Urso cum sociis suis. Letabundus et iocundus (RH 1005). Die zum I. Teil des Temporale gehörenden Sequenzen sind dort bereits jedem einzelnen Formular beigegeben RH 5323 . 11903 . 7390 . 7662 . 9755 . 1O549 . 611; im 2. Teil ist nur noch (140r) das Lauda Sion ins Meßformular mitaufgenommen RH 10222, hier mit Lesarten der älteren und der jüngeren Fassung vermischt.
Provenienz der Handschrift: Der vorliegende Codex wird in der Stiftungsurkunde der Spiegelberg-Kapelle zu St. Ursen eigens erwähnt (1438 Juni 27 […] , und ein messebuoch; im eingangs erwähnten Stiftungsbericht ist er (IIIr […] , unum missale novum) ausdrücklich als Dotationsstück der Spiegelberg-Kapelle aufgeführt.
Kodikologische Einheit: Fragment
Handschriftentitel: Perikopenbuch [Fragment]
Entstehungszeit: saec. XI
Beschreibstoff: Pergamentstreifen
Umfang: 2
Format: ursprgl. ca. 25 x 20 cm
Seiteneinrichtung: Blindlinierung mit 15 Vollzeilen.
Schrift und Hände: in breiter spätkarolingischer Minuskel des oberrheinisch-solothurnischen Typs;
Buchschmuck: Überschriften in roter Capitalis rustica, Incipitgruppen in schwarzer Zierkapitale;
Inhaltsangabe:
Als Rückenverstärkung zwei schmale Pergamentstreifen aus Doppelblatt (ursprgl. ca. 25/20 cm) eines Perikopenbuchs (Comes duplex, Murbacher Form). Bei der Einbandrestaurierung gelöst und seither separat in Mappe verwahrt.

  • erhalten Textfragmente mit bemerkenswerten Lesevarianten aus
    • 2 Tim. 1,8-13 und
    • Matth. 17, 23-26 [= feria 4 hebdomadae XXIV post Pentecosten],
    • aus Jac. 5, 7-11 und
    • Marc. 7, 1-8 [= feria 6 hebdomadae XXIV p. Pent.] sowie
    • aus Rom. 13, 11-14 und
    • Matth. 21, 1-9 [= dominica IV ante natale Domini].

    Solothurnische Altertümerkommission, Inv.-Nr. 65.