St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 905
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Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 321-323.

Handschriftentitel: Glossae Salomonis
Entstehungszeit: s. X
Beschreibstoff: Pgm. Das Pergament ist ebenfalls ungleich, vorherrschend stark, mitunter aber dünn und runzlig, von Farbe gelblich, manchmal kreideweiss, nicht überall rein, immer glatt anzufühlen.
Umfang: 1070 Seiten
Format: 2° (37 ½-38 u. 30 C.)
Lagenstruktur: signirt von I-LXXII; der erste Quaternio hat nur noch 3 einzelne jedes für sich eingeheftete Blätter; Qu. XII nur 3 Bll. ohne Lücke; vom letzten Qu. fehlen Bl. 6-8 bis an 3 Streifen.
Seiteneinrichtung: zweispaltig zu 30 Zeilen
Schrift und Hände:
  • Mitunter sind ganze Artikel aus nicht ersichtlicher Ursache in Uncial geschrieben. Die Dinte wechselt oft; mehrenteils erscheint sie hellbraun, selten (wie p. 229-236) dunkel, häufig gelb und sehr dünn, oft wie p. 156 u. ff., besonders aber p. 188-196 blass bis zum Verschwinden.
  • Vielfache Hände, die sich ablösten, sind leicht zu unterscheiden; am häufigsten eine grössere, die offene a setzt, daneben mehrmals (z. B. p. 156 u. f.) eine ganz kleine hochschenklige; fast alle gut, eigentlich zierlich nur die, welche auf der einzigen Seite 155 vorkommt. Schrift, Pergament und Dinte deuten auf das X. Jh., aber eher auf den Anfang, als die zweite Hälfte.
Einband: Der auf die Aussenseite des vordern Deckels geklebte Titel: Vocabularius Salomonis epi Constantiensis et abbatis huius loci scheint dem XII. Jh. anzugehören;
Inhaltsangabe:
  • in eius personam naturam predicant …–…
    • es folgt als erste Vocabel: Achei qui et Argivi ab Aceo Jouis [l. Jonis] filio dicti.
    Ende in der Einleitung zum Buchstaben Y: quippe et quae adhuc se nec vitiis nec Das ganze Y und Z fehlen, sowie zu Anfang das A, aa und ab, mithin auch Ueber- und Unterschrift, wenn solche vorhanden gewesen wären.
    Textgeschichte: Im Text fehlt jede Andeutung über den Urheber der Handschrift, und auch in den vielen andern Kopien dieses Wörterbuchs ist der Name Salomo's entweder blos nachträglich beigeschrieben oder fehlt ganz, wo der Text älter als das X. Jahrh. ist. Einziger Abdruck aus einer andern sehr verschiedenen Vorlage, wahrscheinlich der vom Augsburger Abt Heinrich 1175-81 angefertigten, o. O. und J. [Augsburg c. 1472] Fol. mit vielen deutschen Glossen, die in der St. Gallerhs. durchaus fehlen; dagegen ist in letzterer die alphabetische Ordnung genauer durchgeführt. Ausserdem sind hier überall die Quellen angegeben und zwar in den von oben nach unten laufenden Doppellinien zur Linken, zur Rechten und zwischen beiden Columnen, falls die Namen nicht über den Absätzen oder mitten im Texte stehn.
    Ohne Autornamen sind die Seiten 189-200, 386-413, 711-1015 und 1023-1028, mit den wenigen Ausnahmen auf S. 900, 937, 944, 950, 985, 996, 1007 .
Entstehung der Handschrift:
  • Andere Abschriften in Bern (Bongars, aus monast. Floriac. dioec. Aurelian. saec. IX 159 Bll. Fol. nur A-E); in Paris (S. Germain No. 11529 s. VIII glossar. Ansileubi rex Gothorum nur A-E), in Rom (Cod. Palat. 1773 saec. X), in Vercelli (saec. X ineunt.), in München (No. 14429 saec. X), Weingarten (Etymol. Episc. Constant. saec. XI). Da in den jüngern Exemplaren homonyme Artikel, mitunter selbst gegen den Sinn, in Einen zusammengezogen sind, so gehören solche Abschriften jenen Verkürzungen an, die vom X-XIII in St. Gallen und anderswo aus dem Original gezogen wurden und für die der Name Salomo's als Epitomator besonders üblich ward. Das viel umfangreichere Original, eine wahre Encyklopädie, wie man aus der Masse angeführter Quellen erkennt, dürfte in Frankreich entstanden sein, wohin die ältesten Hss. (Paris und Bern) weisen, und zwar schon vor dem IX. Jh., zu Ende des VII oder Anfang des VIII, da keine spätern Autoren als Isidor und Gregor M. unter den Quellen auftreten. Siehe das Nähere bei Usener 'Liber glossarum' im Rhein. Mus. XXIV, 3, p. 382-391 (a° 1870) als Anhang zu A. Wilmans über Placidus, Papias etc. (ebenda p. 362-382).
  • Nach den bei Wilmans und Sinner (Catal. Bernens. I, p. 390 sq.) abgedruckten Stellen zu urtheilen, sind alle frühern Hss. weitläufiger als der Cod. S. Gall.; manche Artikel fehlen in letzerm ganz z. B. Babyloniae regionis Bactriae regionis; namentlich aber wird hier dieselbe Vocabel bei verschiedenen Paragraphen nicht wiederholt, sondern nur Einmal gesetzt z. B. Adire (statt 12mal), Adiuvat (statt 9mal), womit zugleich viele Quellenangaben wegfallen. Hievon abgesehn bietet der Sangallensis den nämlichen Text wie die Hss. in Bern, Rom, Paris und Vercelli; der abweichendste ist der letztere, am nächsten steht der Pariser, der sogar orthographisch und auch an solchen Stellen mit dem St. Galler stimmt, wo der übrigens sehr ähnliche Römische abweicht z. B. in den Artikeln Babilon Assiriorum, Bacene, maice (Magicae), Baionala. Selbst die Schreibfehler sind die nämlichen z. B. pro uno statt pro vino, a fonte murorum statt a fronte, eo salii statt eos alii.
  • Die Schreiber des St. Galler Codex waren Deutsche, die b und p verwechseln (Adlabsa, pitumen); es fehlt aber auch nicht an wälschen Formen z. B. Irundo p. 457; Sfungia für spongia p. 897. Für den romanischen Ursprung der Vorlage spricht am meisten die Reihe von Wörtern auf Sc, Sp und St, die unter den Buchstaben I eingereiht sind, nämlich p. 458: Iscenovatis funabilis (d.h. σκηνοβατης funambulus), Isceptra virga regalis, Iscinifes dicia, Iscurilitas; p. 459: Ispartana, Ispeculator, Ispiris (sphaera) circulis, Ispumanitri, Isqualida, Istagni (stannum), Istamen, Istater, Istipendium; p. 460: Istrignos (στρυχνος herba), Istromatis (στρωματα), Istrata. Dieselben Formen hat der Incunabeldruck des Wörterbuchs. Dieser Vorschlag i ist sonst ebenso selten als e häufig ist; Ducange hat nur istipulatio, ispia, isponsio, ischola aus italienischen Dokumenten; Brequigni einmal Istabilis I, p. 222. Esclepens im Ktn Waadt hiess vordem Isclapedines. Das prothetische E der Franzosen erscheint im Vocab. Salomonis vielleicht nur p. 318 Exenodochium, während das gleiche Wort p. 1069 als Xhenodochium unter dem Buchstaben X wiederkehrt. Dagegen zeigen die räthischen Urkunden im Cod. Trad. S. Gall. häufig das e, aber nie das i, z. B. in escripsi, estrumentum, escultaizo, espade, Estephanus, Escolastica, Escliene (Schlins, Ortsname). Das italienische I vor den S-Verbindungen ist bekanntlich kein anhaftender Worttheil sondern nur euphonisch nach Consonanten eingeschoben (con istudio etc.).
Provenienz der Handschrift: Im ältesten Stiftskatalog No. 728 ist der Codex nicht erwähnt.