Für diese Handschrift sind folgende Beschreibungen vorhanden

  • Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Band 2 Abt. III/2: Codices 450-546. Liturgica, Libri precum, Deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften, 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 363-367.
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  • Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Schrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, 
Bd. III: Die Handschriften der Bibliotheken St. Gallen-Zürich, bearbeitet von Beat Matthias von Scarpatetti, Rudolf Gamper 
und Marlis Stähli, Dietikon-Zürich 1991, Nr. 113, S. 43.
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  • Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 162.
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St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 530
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Scarpatetti Beat Matthias von, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Gallen, Band 2 Abt. III/2: Codices 450-546. Liturgica, Libri precum, Deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften, 9.-16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, S. 363-367.

Handschriftentitel: Orgeltabulatur des Fridolin Sicher
Entstehungszeiten:
  • 1517
  • Nachtrag 1531
Beschreibstoff: Papier. Wasserzeichen div. Bären des gleichen Typs, dazu Marx/Warburton (s. u.), p. 329, welche den Hinweis von Nef (s. u.), p. 46, Anm. 2, auf die Papiermühle François Bergier in Thal bei Bern übernehmen, aber entgegen Nef die Bären direkt dieser Mühle zuweisen, was so nicht nachweisbar ist; Nef verweist, ohne Angabe der Nr., auf eine sehr ähnliche Marke bei Briquet, Filigranes (1907), dort am ähnlichsten Nr. 12272. Marx/Warburton gehen von zwei Bären-Exemplaren aus, tatsächlich sind es aber mehrere leicht variierte; unsere Exemplare dürften breiter gestreuten süd-deutschen Modellen entsprechen, nämlich Piccard, Wasserzeichen XV (1987), Abt. 2, Nr. 376, mit auffällig gekrümmtem Hinterfuss sowie angedeuteter Kralle am rechten Vorderfuss (Konstanz, St. Gallen, 1538), sowie Nr. 321, mit kantigerem Kopf und viel dünneren Beinen (Meersburg, Regensburg, 1532). Ein Exemplar mit erhobenem kleinem Schwanz setzt vermutlich ein f. 111, sicher auf dem einseitig beschriebenen f. 5, dann wieder f. 35, 36, 41, 45, 49, 50, 52, 56, 58, 66, 74, 80, 82 (beide ev. kleiner?), 88 (aber andere Beine), 94 (aber offensichtlich variiert), 105, 108 (beide variiert, länglichere Kopfform), 114, 123, 130, 131; ein vermutlich zweites Exemplar mit sehr kurzem Schwanzstummel f. 12, 17, 21, 39, 40, 77, 92, 101, 112, 116, 119, 126; f. 137 und 140 sehr gut sichtbares Exemplar. Zwei Formen, jeweils leicht variiert. Diese vorliegenden Formen entsprechen nicht den Abbildungen bei Marx/Warburton; deren Berner Lokalisierung und damit Datierung dieser Marken ist als hinfällig zu betrachten.
Umfang: I-VII + 140 Folia
Format: 30,5/31 x 20,5/21
Seitennummerierung: Tintenfoliierung des Schreibers, nach f. 30 ein Folium übersprungen, heute f. 30 bis, f. 78 und 77 in umgekehrter Reihenfolge.
Lagenstruktur: Quaternionen, ausser IV[-1]I-VII, das vorderste Blatt ist das Spiegelblatt, IV[-1]5-8, f. 4 mit Text herausgeschnitten, Bruch im Text, V32-41, V42-51, V[(-1)]132-140, das letzte Blatt wieder Spiegelblatt, jedoch heute abgelöst und nur noch zu 1/10 erhalten (zwei kleine Reste auf dem Holzdeckel aufgeklebt).
Seiteneinrichtung: Einspaltig, keine Schriftspiegeleinrichtung, pro Seite 6 rastrierte Notenzeilen zu 5 Linien, 25 x 15,5, die Rastrierung komfortabel breit, eine Notenlinie 1,6 cm, mit Rastrierfeder, vgl. etwa p. 100, dort die unterste Notenlinie jeweils mit schwächerer Tinte. Rastrierungseinrichtung mit Zirkel, Zirkellöcher jeweils zu Beginn und Ende der Rastrierung. Die Doppelseite f. 20v und 21r (Lagenmitte) rastriert, aber nicht beschrieben, wohl wegen Tintendurchschlags.
Schrift und Hände:
  • Der vorliegende Band ist die einzige erhaltene Papier-Hs. von der Hand Fridolin Sichers, der hier eine gewöhnliche spätmittelalterliche Kursive schreibt, aber vereinzelt in die humanistische Kursive wechselt, Vgl. f. 104r, 109r, 122r und passim; in der ersteren eine Verfassersubskription f. 30v: Finis Ich stund ain ainem morgen. Sequitur Resonet per me fridolinum sicher compositum; kurz davor f. 28r die Subskription (vielleicht Abschrift aus einer Vorlage-Hs.) Anno 1531 scriptum jn Ensisheim (elsässischer Residenzort des habsburgischen Landvogtes). Am Schluss wieder Komponistenangabe f. 135v: Aue sanctissima nouiter compositum per .N. Gräfinger, in kalligraphienaher Buchschrift, darunter zugefügt in flacher Kursive anno 17° mense maio; auch weitere vereinzelte Titel leicht kalligraphisch, Nähe sowohl zur Gotica wie zur Humanistica. Ein einziger Vermerk steht in roter Mennige: Falsum carmen non correctum, Corrige, f. 111v. Das Registrum f. IIr-IIIv in überwiegend spätmittelalterlicher Halbkursive, passim Nachträge in sehr flüchtiger deutscher Kursive. Das für Sicher charakteristische hybride lange s (unter die Linie gehend) im Titel f. 1r; der gesamte Band stammt von der Hand Sichers, wobei dieser in distinkten Zeiträumen und entsprechend auch in variierenden Schriftarten (s. o.) gearbeitet hat.
  • Nef, p. 47 f. , teilt die Hs. in drei « Schreibarten », gemeint drei Schreibphasen, ein, welche auch im Register f. IIr-IIIv feststellbar sind. Diese Einteilung erscheint plausibel, unsicher bleibt die Datierung des Beginns der Niedersehrift der Tabulatur. Nefs Schreibphase I (1505-1516) ist von Marx/Warburton, p. 332, wegen Inkompatibilität mit dem Lagenverlauf wieder verworfen worden, diese plädieren, allerdings nur aufgrund der Wasserzeichen, für einen Schreibbeginn anno 1516. Gesichert ist Nefs Schreibphase II (um 1517) durch die Datierung f. 135v; die Schreibphase III (1517-1531) ist wiederum nur von Nef erschlossen, das Datum 1531 f. 28v ist ein Nachtrag und garantiert keine durchgehende Niederschrift von 1517 bis 1531. Gemäss Marx/Warburton, p. 333, ist « die bisher geltende Datierung (1503-1531) in ca. 1512- ca. 1521 mit Nachtrag 1531 zu korrigieren »; die Datierung ab ca. 1512 auch bei CMD-CH III (s. u.).
  • Die Hs. ist nicht kontinuierlich geschrieben worden, aber durchaus einheitlich konzipiert. Feststellbar sind Tinten-und Kielzäsuren, so f. 20r /21v, oder starker Tintenwechsel, etwa f. 135r-v, und passim Schwankungen in der Kielbreite, grössere Abstände durch leergebliebene Seitenteile; der Vorspann f. Vv-VIIr mit dünnerem Kiel, ev. später, oder beim Einbinden mitaufgenommen.
Musiknotationen: Auf den Notenlinien Mensuralnotation des 16./1 Jhs., darunter die Intavolierung in Minuskel-Buchstaben und div. Zeichen, gemäss Nef (s. u.), p. 49-54, und Marx/Warburton (s. u.), p. 334, die sogenannte alte deutsche Orgeltabulatur.
Buchschmuck: Keine Rubrizierung, kein Dekor.
Spätere Ergänzungen: Nachtrag 1531
Einband: Einband 16./1 und ev. Restaurierung 18. oder 19./1 Jh., beiges Halbleder auf Holz, als Stempelung des nur einen Drittel abdeckenden Lederteils ein oblonges Rechteck mit 9 zentralen runden Blütenmedaillons und ebensolchen in den Randleisten, alternierend mit dem Maria-Schriftband. Auf dem hinteren Spiegelblatt sichtbar das in den Rücken eingebundene Fragment einer Urkunde mit Nennung des Papstes Innozenz VIII. (1484-1492). Von früheren Schliessen HDK-VDK sind auf VD zwei unverzierte Messing-Ösenplättchen übrig. Der HD besteht aus zwei Holzplatten, die äussere ist vermutlich im 18. oder 19./1 Jh. ersatzweise angesetzt worden; auf dieser ein Fragment von sehr schönem dunkelrotem Papier mit Goldrankendekor (auch in anderen St. Galler Hss. anzutreffen); entweder war dieses vorher auf dem angesetzten Deckelstück, oder auf unserer Hs. waren früher Einbandteile des 17./18. Jhs. mit diesem roten Papier. Das Deckelstück entstammt wahrscheinlich einer vermakulierten Hs., da es vier Nagellöcher von Schliessen trägt, die nicht zu den erwähnten Ösenplättchen des VD passen. Neben diesen sind am Deckelrand zwei grossere Löcher mit heute unklarer Bestimmung (für ehem. Ankettung?). Die Fuge der gut verleimten Deckelteile ist beidseits mit Pergament-Streifen überklebt. Ob das Fragment eines letzten, zu 9/10 herausgerissenen Papier-Foliums nach f. 140 Teil eines früheren Spiegelblattes war, ist unsicher (recto sehr dunkel, verso hell). Eine abwärtsgehende Serie von 7 rot-vergoldeten kleinen Signakeln f. 7-84, f. 85-140 keine zweite Serie.
Inhaltsangabe:
  • [Cantica/Liederbuch pro organo, compilatum per Fridolinum Sicherum ]
    • (IIr-IIIv) Registrum super librum Aue maria gratia 69, Allain on end 74 …–… Zela zans [sans] plus non 68
    • (IVr-Vr) leer
    • (Vv-VIIr) [Vorspann.] Mit feinerem Kiel geschrieben
      • (Vv-VIr) ein Lied ohne Titel
      • (VIv-VIIr) So wend wir auff den berg Dieses Lied figuriert in Sichers Register sub »Fol. 1«, so wie auch das nach dem leeren f. VIIv anschliessende, (1r) beginnende Salve Regina magistri Jehan Buchner, (2r) leer, da die Lieder immer auf dem Verso beginnen, zugunsten der offenliegenden Doppelseite.
    • (1r-140r) Cantica Titel in der gleichen Kursive des Registers. Sequitur Nunc Salue regina Magistri iohannis Sch … [unklar, vgl. f. 10v: Schrem] Buchner
      • (10v) Finis Exaudi Sequitur Sancta maria Magistri Johannis Schrem anschliessend kursive Titel passim. Nicht alle Lieder tragen einen Titel, der erste nach Salve regina f. 1 notierte Titel ist (9v) Dies est leticie.
    Inhaltsaufnahme jedes einzelnen Liedes bei Nef (s. u.), p. 66-132, musikalische Transkription in moderne Notation des gesamten Inhalts bei Marx/Warburton (s. u.). Als Komponisten sind in der Hs. genannt: Mögliche Komponisten aufgrund von Zuweisungen bei Nef (s. u.):
    • Antoine Busnois, Johannes Fuchswild, Jean Japart, Pierre de la Rue, Bartolomeo Tromboncino;
    • bei Marx/Warburton (s. u.) zusätzlich Bentz von Rischach, Jachet de Mantua (gemäss Nef chronologisch nicht gleichsetzbar mit dem Jacket der Hs., s. o.)
    • Marx/Warburton, Orgelbuch (1992), dort Beginn des Tabulaturteiles mit f. 26r, die mit Titel versehenen Cantica (»Sequitur nunc […] «) beginnen jedoch f. 1r, der ohne Liedtitel beginnende Vorspann steht f. Vv-VIIIr, f. 26r ist die rechte Hälfte eines mit »Duo« überschriebenen Liedes;
    • zu den Vorlagen der Intavolierungen, u. a. unsere Codd. 461-463, Marx, Cod. 530 (1980);
    • Bruggisser-Lanker, Musik und Liturgie (2004), p. 45 f., 159, Abb.13 (f.23r der Hs.);
    • Arnold Geering, Die Vokalmusik in der Schweiz zur Zeit der Reformation, in: Schweizerisehes Jahrbuch für Musikwissenschaft 6, 1933, unsere Hs. erw. p. 6;
    • Nef, Sicher (1938), unsere Hs. beschrieben p. 46 f., zur Datierung p. 47-49, Inventarisierung der Lieder nach unserer Hs. p. 66-132, mit Reg. p. 133-139. Zu zwei Gallus-Liedern f. 118v-120r ist die Transkription bei Nef fragm.: (118v) Nobile Sidus… contagia furiosa (mit durchgestr. o)… desitum, dann: inibi deseruiens deo. (119r) … corruens in terram ait…;
    • Charles W. Fox, Ein Fröhlich Wesen: The Career of A German Song in the Sixteenth Century, in: Papers of the American Musicologieal Society 1937, unsere Hs. als XXXI.40. p. [74];
    • Hans J. Moser, Frühmeister der deutschen Orgelkunst [moderne Notation], Berlin 1930, mit Resonet in Laudibus, aus unserer Hs. die Nrn. 1, 3, 4, 11 f., 14, 25-27;
    • Hans Joachim Marx, Tabulaturen des XVI. Jhs., T. 2: Die Orgeltabulatur des Clemens Hör, Basel 1970, unsere Hs. erw. unter vielen p. XV, XVII;
    • Jost H. Schmidt, Orgelmusik der Reformationszeit [Noten-Ed. in moderner Notation], Berlin 1965, unsere Hs. erw. im unpaginierten Anm.-Teil unter den Liedern Sta. Maria und Tribulatio et Angustia;
    • Michael Radulescu [Hg.], Tanndernack, von Paul Hofhaimer (1459-1537), Wien 1975, in moderner Notation, nach 3 Hss., worunter die unsrige, f. 17v-20r;
    • Ernst Hintermaier [Hg.], Salzburg zur Zeit des Paracelsus (Ausstellungsführer), Salzburg 1993, Hs. erw. p. 124;
    • Esther Sialm, Fridolin Sicher (1490-1546) und die Orgeltabulatur in der St. Galler Stiftsbibliothek (Codex 530), in: Musik und Gottesdienst 49, 1995, p. 126-141, zu Leben und Werk Sichers, mit Lit. und Abb. von f. 30v;
    • Hs. auch kurz umschrieben in Ochsenbein/Schmuki, Glehrte Leüt (1993), p. 29;
    • Honey Meconi, Fortuna desperata, 36 settings [musikalische Transkriptionen in moderner Notation], Middleton 2001, Hs. erw. passim im Appendix p. xxvii-xxxvii und 151 f.
Entstehung der Handschrift: Der Band stammt aus dem Eigentum des St. Galler Organisten und Schreibers Fridolin Sicher aus Bischofszell (1490-1546), zur Biographie CMD-CH III (s. u.).
Erwerb der Handschrift: Auf dem Pergament-Klebestreifen über der Fuge des HD der Buchstabe G, wohl noch 16., ev. 17. Jh. Spätestens seit 16.Jh. in StiBSG, Stempel D. B. f. IIr und 140v.
Bibliographie:
  • Marx/Warburton, Orgelbuch (1992), kritischer Bericht und Indizes p. 327-366, zu vermerken: f. VII nicht Einzelblatt, sondern ein Bogen mit dem vorderen Spiegelblatt;
  • Marx, Cod. 530 (1980), p. 287, datiert die Hs. neu 1511/12-1521, mit einer 1531 nachgetragenen Intavolierung;
  • Nef, Sicher (1938), unsere Hs. beschrieben p. 46 f., zur Datierung p. 47-49;
  • Ders., Pater Heinrich Keller, ein Organist im Kloster St. Gallen, in: Mitteilungen der schweizerischen musikforschenden Gesellschaft 3, 1936, p. 6, Anm.23;
  • zum Schreiber und Eigentümer Fridolin Sicher CMD-CH III, p. 310 (Biogr., Hss., Lit.);
  • Ochsenbein/Schmuki, Glehrte Leüt (1993), p. 28;
  • Schmuki/Ochsenbein/Dora, Cimelia (2000), Nr. 85, mit Abb. von f. 23r der Hs.;