Für diese Handschrift sind folgende Beschreibungen vorhanden

  • Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 326-329, Nr. 33.
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  • Scherrer Gustav, Verzeichniss der Handschriften der Stiftsbibliothek von St. Gallen, Halle 1875, S. 8.
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St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 20
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Euw Anton von, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, Band I: Textband, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, Bd. 3), S. 326-329, Nr. 33.

Handschriftentitel: Psalterium Gallicanum mit Cantica
Entstehungsort: St. Gallen
Entstehungszeit: um 820-830
Alternative Bezeichnung: Wolfcoz-Psalter
Katalognummer: 33
Umfang: 362 pp.
Format: 30,5 x 23,5 cm
Lagenstruktur: Quaternionen: 18-3 (das erste Bifol. fehlt, die ursprünglichen fol. 7 u. 8 im 12. Jh. ersetzt), 28 (p. 15-30 mit Ergänzung der Seiten 19-20 u. 25-26 im 12. Jh.) usw.
Zustand: Vom ersten Quaternio fehlt das erste Binio (fol. 1 u. 8).
Seiteneinrichtung: Schriftspiegel 21 x 18 cm, einspaltig zu 20 Zeilen.
Schrift und Hände: alemannische Minuskel mit offenem u. geschlossenem a, vorwiegend offenem g von einer Hand
Buchschmuck: Psalmtituli in Rustica mit Minium, Versanfänge der Psalmen mit Hohlmajuskeln in Minium, gelb u. blau gefüllt. Zu den Psalmanfängen Initialen in Federzeichnung mit Minium, gelb u. blau sowie pergamentaussparend gefüllt, teilweise blau gepunktet, fortlaufende Zeilen der Triaden u. Dekadenpsalmen in farbiger Hohlmajuskel. Autorenbild p. 1 in schwarzer Federzeichnung, mit Gelb, Grün, Braun-Rot, Blau, weiß gehöht.
Inhaltsangabe:
Inhalt:
  • p. 1 Autorenbild
    • Das ursprüngliche 1r enthielt den Titel sowie den Anfang der Origo prophetiae David

    • 1v ein Bild König Davids.

    • Auf dem erhaltenen 2r (p. 1) folgt das Bild der in der Origo genannten Mitautoren Davids, nämlich Asaph, Eman, Ethan u. Idithun als Chorleiter, hier als Schreiber, in blau u. gelb gestreiftem, schwarz umrandetem Rahmen; außerhalb rechts am Rand eine den Schreibern vergleichbare Halbfigur eines unbärtigen Mannes im Dreiviertelprofil zu den Autoren schauend, darüber ein Papageien ähnlicher Vogel im Profil nach links, mit gespreizten Flügeln, von einem Nimbus hinterfangen, darüber ein zweiter, anscheinend nimbierter jugendlicher Männerkopf, rechts außen, die Figuren anschneidend, eine Säule. Auf Blatt 2v (p. 2) wird die Origo fortgesetzt (feriebat cymbalum alius autem cythara - iuxta istoriam quoniam omnium est deinde quis alius; Text stimmt nicht mit PL 93,477 überein)

  • p. 2 Origo prophetiae David
  • p. 3-327 die 150 Psalmen
    • 3r(p. 3) oben wohl das Expl. der Origo oder der Titel des Psalteriums: Origo prophetie David regis psalmorum numero CL, zudem Ps 1

      b(eatus vir), unzial, am oberen Ende zwei Adlerköpfe, Füllung des Buchstabenkörpers mit Flechtband, Beringung, das Binnenmotiv entwächst dem offenen Buchstabenkörper u. endet in zwei Vogelköpfen, (b)EATUS VIR in Hohlcapitalis

    • 4r(p. 5) Ps 2

      Q(uare fremuerunt), vier gegenständige Fische, als Cauda ein hybrider Löwe mit vegetabilem Schwanz

    • 5r(p. 7) Ps 3

      d(mine quid multiplicati sunt), unzial, mit Mittelknoten, 7r-7v (p. 11-12) u. 8r-8v (p. 13-14) spätere Ergänzungen

    • (p. 15) (Lage 28) In finem pro occultis filii Psalmus David (Ps 9).

      C(onfitebor tibi)

    • (p. 21) Ps 11

      S(alvum me fac), oben Vogelkopf mit drei Pfauenfedern, unten drei Schwanzfedern eines Pfauen, in der Mitte durch das Oval durchgezogene Achterschlaufe

    • (p. 22) Ps 12

      U(sque quo Dne.), breiter getreppter Schaft, nach innen gefiederter Bogen mit Binnenzeichnung

    • (p. 43) Ps 21

      d(eus Deus meus respice me), uncialer Buchstabenkörper als Vogel, oben gefiederter Hals mit sich darin verbeißendem Schnabel des rückwärts gedrehten Kopfes, seitlich je ein Flügel, das Binnenmotiv entwächst dem äußeren Bogen u. endet in zwei Vogelköpfen

    • (p. 47) Ps 22

      D(ominus regit me), Schaft getreppt, Bogen Fisch-ähnlich, einlinig im merowingischen Stil gezeichnet

    • (p. 56) Ps 27

      A(d te Dne clamabo), unzial, Vogelkopf mit zwei Öhrchen

    • (p. 58) Ps 28

      a(dferte Dno […] . gloriam), unzial «Vogelkopf» mit Öhrchen u. Pfauenfedern, im Buchstabenkörper Kreisreihen mit Mittelpunkten

    • (p. 59) Ps 29

      E(xaltabo te Dne.), breiter mäandrisch verzierter Schaft mit vegetabil auswachsenden Querarmen

    • (p. 65) Ps 31

      b(eati quorum remisse), Buchstabenkörper unzial, mit Hundskopf oben u. Hinterläufen in der Einrollung zum Binnenmotiv, in den Bogenmitten Ringe u. gegenständig Flügel, aus dem Hundskopf u. den Hinterläufen wachsen Ranken mit Blattenden

    • (p. 83) Ps 37

      D(omine ne in furore), im Schaft feine Blattverzierung, der Bogen aus zwei nach innen gefiederten «Fischblasen», an einen Ring mit Wirbel stoßend, als Binnenmotiv großer Wirbel u. Mittelkreis

    • (p. 86) Ps 38

      d(ixi custodiam), zwei Fische bilden den Buchstabenkörper

    • (p. 93) Ps 41

      Q(uemadmodum desiderat cervus), in der Mitte der Bogen Knoten aus Achterschlingen mit außen angesetzten Kreisen u. Sporangien, das Binnenmotiv zweigt aus den Knoten ab u. vereinigt sich mit den Bogenenden, Cauda mit Hundskopf

    • (p. 111) Ps 51

      q(uid gloriaris), ganzseitige unziale Initiale, starker Schaft mit unten umgebogenem, beringtem Fuß u. Krone, Füllung oben als gestauchter Mäander mit Schlangenkopf, in der Mitte Oval, unten kettenartiges Flechtband, der Bogen als Drachen mit im Ansatz der Flügel wachsenden Vorder- u. am Ende des Flechtwerks stehenden Hinterbeinen, alle Zwischenräume gepunktet

    • (p. 126) Ps 61

      N(onne Deo subiecta), starke Füße u. Krone auf dem rechten Schaft, im Schrägbalken feine Füllung, Bänderung in Gold, Silber u. Minium (!)

    • (p. 161) Ps 76

      U(oce mea ad Dominum), starker Schaft mit Mittelkreis u. Flechtbandfüllung, geschwungener, zugespitzter Bogen, auch das Binnenmotiv insular umpunktet

    • (p. 176) Ps 79

      Q(ui regis Israhel), Buchstabenkörper aus vier Fischen, Cauda als Drachen, linear gezeichnet, Füllung gelb u. blau, blaue Punktierung

    • (p. 184) Ps 83

      Q(uam dilecta), lineare Zeichnung, Cauda nach links u. rechts, feine vegetabile Füllung, frei strudelndes Binnenmotiv

    • (p. 204) Ps 91

      B(onum est confiteri Dno.), 10-zeilig

    • (p. 220) Ps 101

      D(omine exaudi orationem), Füllung des Schaftes mit gestauchtem Mäander, Bogen aus zwei «Fischblasen», in der Mitte Ring mit Wirbel, aus den Bogenenden wächst als Flechtwerk mit an den Schnittpunkten angesetzten Dolden das Binnenmotiv

    • (p. 250) Ps 108

      d(eus laudem meam), unzial, mit «gehörntem» Hundskopf, einlinige Bänderung

    • (p. 267) Ps 118 b(eati inmaculati)

      b(eati immaculati), unzial, alle Abschnitte des Psalmes mit kleineren Initialen ausgezeichnet

    • (p. 286) Ps 119

      a(d Dominum dum tribularer), unzial, mit Vogelkopf

    • (p. 288) Ps 121

      L(aetatus sum), geschwungen u. zugespitzt, Vogelkopf, aus dessen Schnabel eine einlinige Ranke wächst

    • (p. 294) Ps 128

      S(aepe expugnaverunt), Vogelkopf, mittleres Oval, Ende mit Pfauenschwanzfedern

    • (p. 297) Ps 131

      M(emento Dne.), unzial, gebändert, im Schaft gestauchter Mäander u. symmetrischer Mittelknoten, Füllung der Bogen mit wirbelnden «Fischblasen», Bogen wachsen als Geflecht mit Dolden an den Kreuzungen zum Binnenmotiv aus

    • (p. 313) Ps 141

      U(oce mea), Bogen nach innen gefiedert, lineares Binnenmotiv

    • (p. 324) Ps 148

      L(audate Dominum), kapital eckig, mit Mittel- u. Endknoten, an der Krone zwei Vogelköpfe

    • (p. 324) Ps 147

      L(audate Dnm. de caelis), im Schaft sich kreuzende Bänderung, beringt, Krone mit zwei Vogelköpfen, an den Kreuzungen der Bänder Knospen

    • (p. 325) Ps 149

      C(anticum novum), Buchstabenkörper in Form eines Drachens mit Vorderläufen in der Mitte u. Schwanz mit Pfauenfedern

    • (p. 326) Ps 150

      L(audate Dominum), geschwungener Buchstabenkörper mit Vogelkopf

  • p. 327 Subskription auf Wolfcoz

    p. 327 Kolophon auf Wolfcoz, zeilenweise in Minium u. Schwarz (vgl. oben)

  • p. 328-353 Cantica, Glaubensbekenntnisse
  • p. 354-356 Te Deum
    • (p. 328) Canticum Esaie prophetae Fer. II. ad matutinam. C(onfitebor)
    • p. 345 B(enedicite omnia opera)

    • p. 346 B(enedictus Dns. Ds. Israhel)

    • p. 348 M(agnificat anima mea)

    • p. 349 N(unc dimittis)

    • p. 350 Q(uicumque vult)

    • p. 354 T(e Deum laudamus)

  • p. 356 Gloria

    p. 356 G(loria in excelsis Deo), im Bogen Kreis u. gegenständige «Fischblasen», geschwungener, vegetabil auswachsender Abstrich

  • p. 357 Horologium für die Monate Januar - Juli
  • p. 358-360 Litanei (unvollständig, St. Galler Heilige fehlen)
  • p. 361-362 Hymnen.
Entstehung der Handschrift:
  • Die Seiten 11-12, 19-20, 25-26, 35-36, 99-100, 103-104, 107-108, 115-116, 149-150, 163-164, 221-222, 339-340 wurden wie in Zürich C 12 (Nr. 32) von einem Schreiber um die Mitte d. 12. Jh. in St. Gallen ergänzt (vgl. von Euw, Missale). Die Subskription auf der unteren Hälfte der dort ursprünglich leeren Seite p. 327 lautet: Psalterium hoc domino semper sancire curavi Vuolfcoz sic supplex nomine qui vocitor. Obtestor modo praesentes omnesque futuros Hoc minime hinc tollant, sed stabile hic maneat. Pro me funde preces lector deposce tonantem, Ut mihi det vitam sic tibi perpetuam. (MGH Poet. lat. II, 477; Schaller/Könsgen, Nr. 12735). Die Anfangsbuchstaben der Hexameter, jeweils abwechselnd in Minium u. Tinte. Schon Merton (S. 18) erkannte, dass dieses Gedicht nicht gleichzeitig mit der Hs., sondern wohl etwa 50 Jahre danach entstand.
  • Die Hs. ist namengebend für die gesamte Hss.-Gruppe um Wolfcoz (Nr. 17-36). Die hier gehandhabte alemannische Minuskel, die recht eigene Rustica der Psalmtituli, die Initialen u. die Hohlcapitalis sind einer Künstlerpersönlichkeit zuzuschreiben, die seit langem nicht nur von den Paläographen u. Kunsthistorikern, sondern auch von der Bibelforschung Wolfcoz genannt wird. Der Grund dafür sind die Verse auf p. 327, in denen ein Wolfcoz beteuert, dass er dieses Psalterium immer dem Herrn weihen wollte u. die jetzt Lebenden, aber auch die Zukünftigen beschwört, es möglichst wenig zu bewegen, sondern es am Ort zu lassen. Zugleich bittet er den Leser, zum (Göttervater Zeus, dem) Donnerer zu beten, dass er beiden das ewige Leben schenke. Die Verse stammen von einer Hand, die sie - was schon Merton sah - aufgrund des Stils erst im 3. Viertel des 9. Jh., wahrscheinlich zur Abtzeit Hartmuts (872-883), geschrieben haben kann. Sie sagen nicht, dass Wolfcoz der Schreiber gewesen sei, sondern dass er dieses Psalterium Gott weihen wolle. Das kann bedeuten, dass Wolfcoz der Besitzer war u. nun das Buch aus dem persönlichen Besitz in den Klosterbesitz übergibt. Er wäre dann Wolfcoz II. gewesen, der das Buch als Namensträger und Nachfolger von Wolfcoz I (vgl. Nr. 17) besessen hätte. Dieser Wolfcoz der 870-880er Jahre könnte dann ohne weiteres der in der Urkunde W 577 aus dem Jahr 874 (vgl. Subsidia Sangallensia, S. 423) genannte Propst (Dekan) Wolfcoz sein.
  • Während die alemannische Minuskel des Schreibers zusammen mit den Auszeichnungsschriften eine geregelte Einheit bildet, sind im Bereich der Initialen Unterschiede zu beobachten, die auf dem Prinzip der einlinigen Buchstabenkörper einerseits u. der gebänderten andererseits beruhen. Der Künstler handhabt beispielsweise am b(eatus) p. 3 die doppellinige Bänderung der Buchstabenkörper, am Q(uare) p. 5 dagegen zeichnet er ihn einlinig in Form von Fischen; das Binnenmotiv dagegen ist gebändert. Insgesamt setzt sich jedoch das Bänderungsprinzip mehr u. mehr durch u. mit ihm die nicht-merowingischen zoomorphen Elemente wie der Drachen, dessen Körperteile in die Buchstabenkörper eingebaut werden. Eine für den Künstler offenbar neuere, insulare zoomorphe Formensprache erhält jetzt gegenüber der älteren eher vegetabilen merowingischen den Vorzug u. wird sich in Werken wie Sang. 367 (Nr. 35) stilbildend durchsetzen. Am Anfang dieser Entwicklung im Bereich der Prachthandschriften des hohen Stils steht deutlich der Psalter C 12 in Zürich (Nr. 32).
  • Mit dem David- u. Autorenbild auf p. 1 greift der Künstler eine Tradition auf, die wohl in der Hofschule Karls des Großen (768-814) gründet, die aber dort nur noch auf den Elfenbeintäfelchen des Wiener Dagulf-Psalters (Paris, Louvre; Wien, ÖNB., Cod. 1861) als Variante fassbar wird. Doch hat die Form- u. Farbgebung der Miniatur in Deckfarbenmalerei in Sang. 20 Ähnlichkeit mit den Bildern des Frühwerkes der Hofschule, des um 781-783 entstandenen Godescalc-Evangelistars (Paris BNF., Nouv.acq.lat. 1203). Das bedeutet, dass in St. Gallen unter Abt Gozbert (816-837) eine erste Rezeption der westfränkischen Kunst stattfindet u. wohl gleichzeitig mit der Umwandlung insularer Einflüsse zu einem neuen, mehrschichtigen Gesamtbild zusammenfindet.
Bibliographie:
  • Scherrer, S. 8.
  • Rahn, Geschichte, S. I 30f., 791.
  • Rahn, Psalterium aureum, S. 52.
  • Landsberger, Folchart-Psalter, S. 10f., 45.
  • Merton, S. 17f., Taf. III-IV.
  • Boeckler, Abendländische Miniaturen, S. 40.
  • Bruckner II, S. 26-29, 55f.
  • Boeckler, St. Galler Fragmente, S. 42, Anm. 24.
  • Georg Kauffmann, Der karolingische Psalter in Zürich und sein Verhältnis zu einigen Problemen byzantinischer Psalterillustration, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 16, 1956, S. 65-74.
  • Knoepfli, Kunstgeschichte I, S. 27
  • Anton von Euw, Studien zu den Elfenbeinarbeiten der Hofschule Karls des Großen, in: Aachener Kunstblätter 34, 1967, S. 44, Abb. 16.
  • Fischer, Lateinische Bibelhandschriften, S. 154, 161, 166, 180, 411.
  • Eggenberger, Psalterium aureum, S. 20, 46, 54, Abb. 19.
  • CMD-CH III, Nr. 829, Abb. 731.
  • von Scarpatetti, in: Festschrift Duft 1995, S. 40, 42, Abb. 10.
  • McKitterick, in: Kloster St. Gallen, S. 75.
  • Schmuki, in: Cimelia Sangallensia, Nr. 22.
  • von Euw, in: Kloster St. Gallen, S. 169-172, Abb. 74.
  • von Euw, in: Appenzeller Missale, S. 64.
  • Berschin, Eremus und Insula (2005), S. 21, 80-81.